Sammelband (endlich) erschienen: Erinnerungs- und Gedenkorte im sächsischen Dreiländereck Polen – Tschechien – Deutschland

Im Herbst 2010 nahm ich an einer Tagung mit dem Titel »Erinnerungs- und Gedenkorte (nicht Landschaften!) im Dreländereck Polen – Tschechien – Deutschland« teil. Die Tagung fand in Großhennersdorf statt und wurde von der dort ansässigen Umweltbibliothek unter der Leitung von Andreas Schönfelder ausgerichtet. Ich hatte damals auch hier darüber berichtet und meine Vortragsfolien zur Verfügung gestellt.

Im Anschluss an die Tagung wurde ein Tagungsband kuratiert, der nun endlich vorliegt. Wie unterschiedlich die Geschwindigkeiten sein können, in denen wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht werden, überraschte mich sehr. In der Informatik kommt es auf wenige Monate an, in der Geschichtswissenschaft kommt es auf Jahre und Jahrzehnte nicht so sehr an – so lange einen die Geschichte nicht wieder einholt. Gerade in Sachsen gilt es die Erinnerungs- und Gedenkkultur zu weiter zu entwickeln. Nach dem die meisten Zeitzeugen der NS-Zeit verstummt sind, finden wir nur noch Ort vor, die uns ohne eine historische Aufarbeitung und intensive Forschung kaum ansprechen. Es handelt sich oftmals um Orte, die heute einer anderen Nutzung überführt wurden oder brach liegen. Diese Ort können uns aber etwas mitteilen, wenn wir mit ihnen vergangene Geschehnisse verbinden und mit ihnen Menschen in Beziehung bringen können. Das vorliegende Buch vermag uns helfen, von Orten und Plätzen im Dreiländereck angesprochen zu werden, die uns zuvor bedeutungslos erschienen.

Diese Publikation geht zurück auf eine Tagung zur Erinnerungs- und Gedenklandschaft im Dreiländereck Polen – Tschechien – Deutschland. Es werden Forschungsarbeiten, dokumentierte Spurensuche-Projekte und auch die Arbeit von Gedenkstätten in der Grenzregion vorgestellt. Um Lesern den Kontext und die Relevanz der mit dem Band verbundenen Thesen plausibel zu machen, wurden zusätzlich Darstellungen ausgewiesener Kenner der nationalen Prozesse für eine Erneuerung der jeweiligen Erinnerungs- und Gedenkkulturen seit den großen Umbrüchen von 1989/1990 aufgenommen.

Der Sammelband ist kostenlos bei der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung zu erhalten.

Studienfahrt nach Theresienstadt

Im Rahmen des Projektes Theresienstadt explained haben wir zusammen mit Forschenden und Studierenden mit einer Reihe von spannenden Anwendungen entwickelt, die nun im Feld evaluiert werden sollen. Eine weiter Gelegenheit dazu bietet uns dazu die Studienfahrt nach Theresienstadt. Zusammen mit Armin Pietsch werden wir den Theresienstadter NS-Propagandafilm vorstellen und mit den Teilnehmenden analysieren.

Termin: 13. bis 15. März, Terezin, CZ

Organisiert wird die Studienfahrt von Beatrice Pätzold (Brücke|Most-Stiftung) und Stefanie Stange (Ev. Luth. Landesjugendpfarramt Sachsen) in Kooperation mit dem Freundeskreis Theresienstadt e.V.

Weitere Information finden sich auch dem Veranstaltungsflyer.

Neue Fotos vom KZ-Außenlager Görlitz und einigen Überlebenden

Auf einen älteren Beitrag hier im Blog erreichte mich im Juni 2017 ein Kommentar und vor wenigen Tagen dann ein Anruf von einem Nachfahren eines Überlebenden des KZ-Außenlagers Görlitz. Von persönlichen Andenken, die über die Zeit in den KZs hinweg gerettet wurden, und von Fotos, die nach der Befreiung entstanden sind, war die Rede. Heute nun erreicht mich ein dicker Brief mit Leihgaben von Bilder, Schreiben und beeindruckenden Erinnerungsstücken.

Die Herkunft einiger Bilder bzw. der Ort der Aufnahme muss in einigen Fällen noch ermittelt werden. Zwei Bilder wurden im KZ Dachau aufgenommen (siehe [1]). Die Namen der abgebildeten Personen bzw. Überlebenden ist teilweise auch nicht bekannt.

Ich bin sehr dankbar für diese außergewöhnliche Leihgabe.

Wir haben die Google Impact Challenge gewonnen!

Heute morgen um 9 Uhr haben wir erfahren, dass wir unter den Gewinnern der diesjährigen Google Impact Challenge sind! Wir freuen uns über den Erfolg und bedanken uns recht herzlich bei all jenen, die für unsere Projekt gestimmt haben!

Für uns ist das heute ein Grund zu feiern. Nächste Woche legen wir dann los und koordinieren die beteiligten Experten, Wissenschaftler, Designer und Entwickler. Updates erfahrt ihr auf diesem Kanal.

Nachtrag zum Vortrag beim Kirchenkino Großhennersdorf

Völlig überraschend füllten sich gestern Abend in der Kirche zu Großhennersdorf die Bänke bis in die letzte Reihe – 115 Leute saßen da. Pattrick Weißig hatte im Namen der Hillerschen Villa Zittau zusammen mit dem Pfarrer Alexander Wieckowski zum Kirchenkino geladen. Wir wollten mit dieser Veranstaltung an das Ende des Zweiten Weltkrieg vor 70 Jahren und die regionalen Verstrickungen mit dem Holocaust am Beispieler der Göritzer WUMAG und dem Rennersdorfer KZ-Außenlager erinnern. In meinem Vortrag über das KZ-Außenlager Görlitz und den Todesmarsch in das Rennersdorfer Lager habe ich versucht die wesentlichsten Informationen gut aufzubereiten. Ganz besonders hatte es mich gefreut, dass drei Zeitzeugen aus Rennersdorf im Saal waren (die ich alle noch nicht kannte). Im Anschluss an den Vortrag eröffnete der Film »Zug des Lebens« eine lockere und amüsantere Annäherung an der Thema.

Vortrag zu den KZ-Außenlagern Görlitz und Rennersdorf beim Kirchenkino in Großhennersdorf, 15.09.2015.

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Vortrag zum Rennersdorfer KZ-Außenlager beim Kirchenkino in Großhennersdorf am 15. September 2015

Die Hillersche Villa veranstaltet am Dienstag, den 15. September 2015 gemeinsam mit der Kirchgemeinde Großhennersdorf-Rennersdorf das Kirchenkino in der Kirche Großhennersdorf. Themenschwerpunkt des Abends ist die Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs. Dazu werde ich in einem kurzen Referat die regionale Relevanz des Themas am Beispiel der KZ-Außernlager unterstreichen und besonders auf das geografisch am nähsten liegende Lager in Rennersorf eingehen. Im Anschluss daran wird der Film “Zug des Lebens” vorgeführt. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr und endet voraussichtlich um 22 Uhr.

Holocaust als ein Vehikel für Menschenrechte

Bei öffentlichen Veranstaltungen, die sich der Erinnerung und Aufarbeitung der NS-Verbechen widmen, muss ich immer wieder feststellen, wie wenige junge Leute (< 30 Jahre) sich für das Thema interessieren. Dies ist zunächst eine Feststellung, ohne jede Wertung und ohne einen Vergleich.
Wenn ich mich für einen Wissensbereich interessiere, dann nehme ich daran Anteil und verfolge die Geschehnisse aufmerksam.
So ein Interesse ist immer auch mit der Absicht des Lernens verbunden, denn schließlich möchte man etwas neues erfahren, verstehen oder ausüben.

Überlegt man nun, warum sich jemand mit der Vernichtung der europäischen Juden, den NS Verbrechen im Allgemeinen sowie dem Thema Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit auseinandersetzen sollte, dann findet man recht schnell zu einem gemeinsamen Nenner. Es geht im Grunde um die basalen Menschenrechte: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Freiheit von Unterdrückung, das Recht auf freie Wahl des Aufenthalts-, Wohn- und Arbeitsortes, das Recht auf Arbeit, das recht auf Mitbestimmung usw.

Die Menschenrechte stellen das hier ein übergeordnete und für viele vielleicht etwas verdecktes Ziel dieses Lernprozesses dar. Doch was versteht man hier unter einem Ziel? Worauf zielt die Beschäftigung mit einem Thema ab? Möchte ich mir schlicht Fakten aneignen, um sie mehr oder weniger präzise wiedergeben zu können? Also vielleicht mein Allgemeinwissen erweitern? Oder gehe ich noch einen Schritt weiter und versuche die Zusammenhänge der Fakten zu verstehen, Kausalitäten und Korrelationen zu finden? Wenn ich das Gelernte anwenden möchte, um beispielsweise jemanden das Thema zu erklären, dann muss ich das Wissen anwenden können. Formen der Anwendung können vielfältig sein. Beispielsweise kann ich versuchen ein Konzept in die Praxis zu überführen, ich kann eine Theorie in einem Experiment erproben oder ich kann versuchen mein Wissen anderen zu vermitteln. Diese drei Stufen (es gibt noch mehr) helfen, Lernziele zu ordnen.

Doch kommen wir nun zurück zu den Menschenrechten.
Ich wage die These, dass sich mehr Menschen für die Wahrung der Menschenrechte interessieren, als für die Geschehnisse des Dritten Reich und Zweiten Weltkrieg. Das erscheint auf den ersten Blick plausibel, ist aber erklärungsbedürftig. Ein Grund dafür sind
– die von Amnesty International regelmäßig konstatierten Menschenrechtsverletzungen weltweit
– die Verfehlung der Milleniumsentwicklunsgziele, d.h. die Beseitigung von Armut und Hunger sowie die Gewährleistung von Grundschulbildung.

Alle genannten Gründe adressieren aktuelle Probleme und zumeist keine lokalen Probleme – zumindest nicht für uns. Dies unterscheidet sie vom Holocaust, der zwar jeder Orts (in Europa) Auswirkungen zeigte (Deportation der deutschen Juden, KZ-Zwangsarbeit, Todesmärsche), jedoch zeitlich schon mehr als 70 Jahren zurückliegt. Betrachtet man den persönliche Beziehungen zu den Betroffenen/den Opfer und die individuelle Mitschuld am Geschehenen, lassen sich ebenso diametrale Unterschiede feststellen: Beziehungen zu Zeitzeugen und Holocaustüberlebende werden mehr und mehr zur Ausnahme, da nur noch wenige ehemalige Zeitzeugen leben. Persönliche Beziehungen zu Menschen in nicht-entwickelten Ländern bzw. den ärmsten Menschen der Welt, die z.B. weniger als 1 oder 2 Dollar pro Tag verdienen (Armutsdefinition der Weltbank), sind weniger selten. Durch Reisen, weltweite Kommunikation und nicht zuletzt durch die gegenwärtigen Flüchtlingsströme sind uns diese Menschen nicht mehr so fremd wie vor 25 Jahren, als wir das Internet, Billigflieger und Frontex noch nicht kannten. Eine persönliche Schuld am Holocaust ist für die nach 1931 geborenen schwer zu begründen. Unsere persönliche Schuld bzw. Mitschuld für die Lebenssituation eines Großteils der Weltbevölkerung steht jedoch außer Frage, denn wir haben abgesehen von unserem Lebenswandel (z.B. Rohstoffverbrauch, Umweltverschmutzung), auch Einfluss auf die Politik (Handelsabkommen, Zölle, etc.) und somit auch auf die Wirtschaft (Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, etc.). In einer Demokratie kann man das nicht leugnen.

Halten wir also als Thesen fest, dass eine zeitliche Nähe, persönliche Sichtbarkeit und Mitschuld an der Verursachung von Problemen das Interesse an einem Thema steigern können. Für Themen wie den Holocaust oder die NS-Zeit sind diese Bedingungen nicht mehr erfüllt. Die individuell empfundene Relevanz des Themas ist nur noch schwer vermittelbar. Eine Studie der Berthelsmann Stiftung vom Januar 2014 besagt, dass 58% der 1000 befragten Deutschen einen Schlussstrich unter den Holocaust befürworten. Statt dessen lässt sich die Relevanz des allgemeineren Lernziels bzgl. der universellen Menschenrechte viel besser begründen und nachvollziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, die Geschichte der Judenverfolgung im NS-Staat ad acta zu legen. Vielmehr sollten wir uns darin üben, Gemeinsamkeiten in den Ursachen, Entwicklungen und Auswirkungen zu identifizieren. Anstatt eines Vergleichs zwischen dem singulären Völkermord und den weltweiten Menschenrechtsverletzungen können wir trotz veränderten Rahmenbedingungen gewissen Muster erkennen. Die Geschichte wiederholt sich, nur der Kontext ändert sich. Gelingen kann dies mit Hilfe der von Harald Welzer ausgewiesenen Erkenntnis, wozu Menschen im Stande sind – im Guten wie im Schlechten. Wir können große Leistungen vollbringen (z.B. Erfindungen, Bauwerke, Organisationen) und Liebe gegenüber unseren Nächsten zeigen, doch wir Menschen sind ebenso im Stande destruktiv zu wirken (z.B. durch Kriege) und würdiges Menschenleben in ungeheurem Ausmaß zu erschweren – bis hin zur Auslöschung von Völkern. Diese Fähigkeiten des Menschen lassen sich in fast allen Epochen der Menschheitsgeschichte belegen und miteinander in Beziehung setzen, ganz gleich welche technologischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wir im Einzelnen vorfinden. Der Holocaust ist dabei ein besonderes Vehikel, was uns helfen kann Menschenrechtsprobleme zu erkennen, sie anzusprechen und ihre Wahrung weltweit durchzusetzen. Pädagogen und Multiplikatoren sind in diesem Zusammenhang gefordert, ihre lokal beschränkten Betrachtungsweisen zu überwinden und dafür den kritischen Blick für globale Herausforderungen im Raumschiff Erde zu schärfen.