ASF Sommerlager für’s Stalag VIIIA in Görlitz

Der Meetingpoint Music Messiaen veranstaltet vom 17. bis 31.07.2011 ein Sommerlager der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst in Görlitz. Die erwarteten Teilnehmer aus Polen, Italien und Deutschland werden sich zum einen Garten- und Aufräumungsarbeiten auf dem verwilderten Gelände des ehem. Stalag VIIIA zuwenden und sich zum anderen auch thematisch mit der Geschichte des Lager und der NS-Zeit in Görlitz auseinander setzen.
Auch die Erinnerungs- und Gedenkorte des Görlitzer KZ-Außenlager sollen dabei eine Rolle spielen. Abgesehen von einer Führung zum ehemaligen Lager und auf den Jüdischen Friedhof, beabsichtige ich einige ausgewählte Lernmaterialien und Originalquellen bereit zu stellen.


Fundament der Theaterbaracke auf dem Gelände des ehem. Stalag VIIIA in Zgorzelec/Görlitz

John Demjanjuk und der Görlitzer Lagerkapo Jacob Tannenbaum

Jacob Tannenbaum war einerseits Häftling im KZ Außenlager Görlitz und andererseits auch Handlanger der SS. Als Lagerkapo hatte er den zweithöchsten Posten innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung inne. Bevorteilt durch eine bessere Unterkunft und Verpflegung war er von Zwangsarbeit befreit, doch zur Härte gegenüber anderen Gefangen verpflichtet. “Wenn du heute nicht auf die Häftlinge einschlägst, bist du morgen selber dran” umschrieb ein anderer Funktionshäftling den Konflikt zwischen Selbsterhalt und Mitgefühl im System der Konzentrationslager. Tannenbaum, so viel ist durch Zeuge überliefert, rechtfertigte seine Position als Lagerkapo gegenüber der SS durch Folter und Mord an anderen Gefangenen.

Der Displaced Persons Act ermöglichte Jacob Tannenbaum, im Dezember 1949 die Einreise in die USA, wo man ihm im März 1955 die amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannte [1].
Im Mai 1987 wird Tannenbaum von Leon Hostig, einem ehemaligen Görlitzer Häftling, als Mörder seines Bruders erkannt und bei der Polizei angezeigt. Der Fall Tannenbaum erregt internationales Aufsehen in den Medien und bei jüdischen Organisationen [2].
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 4. Mai 1987 heißt es [4]:

Das Justizministerium arbeitet an der Ausweisung des 75 Jahre alten orthodoxen Juden Jacob Tannenbaum, der während des Krieges als Aufseher aus den Reihen der Häftlinge im Arbeitslager Görlitz Mithäftlinge geschlagen und gequält haben soll. Das berichten Kreise des Ministeriums in Washington. Tannenbaum, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet und seine Frau, ein Neugeborenes, Vater, Mutter und fünf Schwestern in Konzentrationslagern verloren hat, lebt seit 1949 in New York. 1955 bekam er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nach Angaben des Justizministerium wird seit 1970 gegen ihn ermittelt. Die israelische Regierung habe zahlreiche Informationen zu dem Fall geliefert und auch Belastungszeugen genannt.

In Anbetracht seines hohen Alters und seiner Geständigkeit ließ die Justiz von einer Ausweisung ab und beließ es bei der Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte. In ähnlichen Fällen hatten die USA bereits John Demjanjuk nach Israel und Karl Linnas und Feodor Fedorenko in die UDSSR ausgewiesen [3]. Im Unterschied zu Demjanjuk, Kinnas und  Fedorenko war Tannenbaum erstens ein Jude und zweitens für weitaus weniger Morde verantwortlich als die anderen.
Der Fall Tannenbaum erregte damals dennoch die Gemüter. Nicht nur im Justizministeriums sondern insbesondere in der orthodoxen jüdischen Gemeinde, welcher Tannenbaum in New York angehörte. Man scheute einen Skandal, in dem ein orthodoxer Jude öffentlich durch ein Gericht als schwer krimineller Komplize der SS entlarvt wurde.
Jeffrey Sweet thematisierte den Stoff in dem Theaterstück “The Action Against Sol Schumann”, was mittlerweile in vielen Theatern aufgeführt wurde. In Deutschland wurde Stück bisweilen noch nicht aufgeführt – auch nicht im Theater Görlitz/Zittau.

Herbert Reubens im Stück “The Action Against Sol Schumann” (Photo © Amy Feinberg)

Quellen
[1] Bekanntgabe des United States Department of Justice vom 12. Mai 1987.
[2] Ebenda. Vgl. auch: Schlomo Graber: Schlajme, S. 82.
[3] Weitere belegte Fälle: Algimantas Dailidė (UDSSR); Boļeslavs Maikovskis (UDSSR) und Anton Geiser, der sich der Auslieferung durch die USA bis heute entziehen konnte.
[4] Siehe auch: weitere Presseberichte in den USA.