Wie vor 100 Jahren

Wie zu Zeiten der Industrialisierung in Europa

Heute noch mal ein paar Worte zu Z., der Firma, in der ich mein Praktikum absolvierte. Im Vergleich zu deutschen Unternehmen, die gleichsam Zink-, Messing- und Bleiprodukte herstellen, fällt zunächst auf, dass ungeheuerlich viel Dreck in die Luft geblasen wird, bis er im Laufe der Zeit wieder herabregnet. Ebenso, wie die Luft, sorgt man sich nicht um Reinhaltung von Boden und Wasser. Blei ist also überall – nicht zuletzt auch im Kantinenessen und in der Kleidung die man im Büro trägt. Doch damit nicht genug: hinzu kommt eine ständige Lärmbelastung durch Maschinen und die Fernseher in der Kantine. Doch auch dass wäre ja noch nicht so schlimm, solang wenigstens die Arbeiter ausreichend geschützt wären. Klar hat man Ohrstöpsel, Helm und Luftfilter, doch der Feinstaub ist überall. Beim Mittagessen dachte ich manchmal Schneemänner sitzen am Nachbartisch, so weiß waren ihre Gesichter vom Zinkoxid. Das Blei hingegen, sieht man nicht.Vor gut zwei Wochen kam es zum Aufstand. 200 Arbeiter aus der Produktion legten ihre Arbeit nieder und forderten bessere Arbeitsbedingungen. Genauer gesagt ging es ihnen um:

  • die Reinigung, der mit Blei kontaminierten Arbeitskleidung,
  • bessere Atemschutz-/Filtermasken,
  • eine genauere Lohnabrechnung,
  • eine Verkürzung der Arbeitszeit von 12 (!!!) auf 8 Stunden pro Tag,
  • eine gerechtere Behandlung durch die unmittelbaren Vorgesetzten (Supervisores)
  • mehr Lohn (derzeit: 35 Euro (S./150) pro 7-Tage-Woche bzw. 84 Stunden)
  • Wahl eines Betriebsrates (Syndicato)

Die erste Reaktion der Unternehmensführung war die sofortige Entlassung des Produktionsleiters und fünf weiterer Arbeiter. Als dies vor versammelter Belegschaft bekannt gegeben wurde, applaudierten alle (Böro-)Angestellten. Urplötzlich wandelte sich das Verhalten der Direktoren gegen über den Arbeitern. Fast schon ängstlich lächelten und winkten sie ihren Untergebenen zu, die von nun an mit Bussen zur Arbeit gefahren werden, damit sie sich auf der Straße nicht mehr mit Gewerkschaftsvertretern treffen können. Ein Priester wurden zu Mittag in die Kantine bestellt, um eine (corporate-)Predigt zu lesen: “… und wenn ihr nicht arbeitet, wird nichts produziert, es kann nichts verkauft werden und ihr verliert eure Arbeit, wie eure Familien ihr Einkommen”, so seine barmherzigen Worte. Die Geschäftsleitung war allerdings auch nicht darum verlegen, rational zu argumentieren. Die Vorzüge eine Anstellung bei Z. lägen weit über dem landestypischen Durchschnitt. Zwar verdienen die Mitarbeiter nur durchschnittlich und erheblich weniger, als manch Arbeiter in einer Mine, doch garantiert Z. darüber hinaus auch die gesundheitlich Versorgung der Familienangehörigen – und sei es auch nur durch einen Medizinstudenten. Das war’s aber auch schon. Alles in allem erinnern mich die hiesigen Zustände an das 19. Jahrhundert und die Zeit der erstem Industriellen Revolution. Ich mag es kaum mit meinem Gewissen vereinbaren, doch noch weniger habe ich die Möglichkeit Veränderungen herbeizuführen. Die täglichen Diskussionen mit einem der CEOs während der morgendlichen Fahrt zur Arbeit fruchten nicht, doch vielleicht wirken sie nach. Trotzdem: Welch Scham.

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