Jacob Tannenbaum war einerseits Häftling im KZ Außenlager Görlitz und andererseits auch Handlanger der SS. Als Lagerkapo hatte er den zweithöchsten Posten innerhalb der Häftlingsselbstverwaltung inne. Bevorteilt durch eine bessere Unterkunft und Verpflegung war er von Zwangsarbeit befreit, doch zur Härte gegenüber anderen Gefangen verpflichtet. “Wenn du heute nicht auf die Häftlinge einschlägst, bist du morgen selber dran” umschrieb ein anderer Funktionshäftling den Konflikt zwischen Selbsterhalt und Mitgefühl im System der Konzentrationslager. Tannenbaum, so viel ist durch Zeuge überliefert, rechtfertigte seine Position als Lagerkapo gegenüber der SS durch Folter und Mord an anderen Gefangenen.
Der Displaced Persons Act ermöglichte Jacob Tannenbaum, im Dezember 1949 die Einreise in die USA, wo man ihm im März 1955 die amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannte [1].
Im Mai 1987 wird Tannenbaum von Leon Hostig, einem ehemaligen Görlitzer Häftling, als Mörder seines Bruders erkannt und bei der Polizei angezeigt. Der Fall Tannenbaum erregt internationales Aufsehen in den Medien und bei jüdischen Organisationen [2].
In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 4. Mai 1987 heißt es [4]:
Das Justizministerium arbeitet an der Ausweisung des 75 Jahre alten orthodoxen Juden Jacob Tannenbaum, der während des Krieges als Aufseher aus den Reihen der Häftlinge im Arbeitslager Görlitz Mithäftlinge geschlagen und gequält haben soll. Das berichten Kreise des Ministeriums in Washington. Tannenbaum, der die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestreitet und seine Frau, ein Neugeborenes, Vater, Mutter und fünf Schwestern in Konzentrationslagern verloren hat, lebt seit 1949 in New York. 1955 bekam er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nach Angaben des Justizministerium wird seit 1970 gegen ihn ermittelt. Die israelische Regierung habe zahlreiche Informationen zu dem Fall geliefert und auch Belastungszeugen genannt.
In Anbetracht seines hohen Alters und seiner Geständigkeit ließ die Justiz von einer Ausweisung ab und beließ es bei der Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte. In ähnlichen Fällen hatten die USA bereits John Demjanjuk nach Israel und Karl Linnas und Feodor Fedorenko in die UDSSR ausgewiesen [3]. Im Unterschied zu Demjanjuk, Kinnas und Fedorenko war Tannenbaum erstens ein Jude und zweitens für weitaus weniger Morde verantwortlich als die anderen.
Der Fall Tannenbaum erregte damals dennoch die Gemüter. Nicht nur im Justizministeriums sondern insbesondere in der orthodoxen jüdischen Gemeinde, welcher Tannenbaum in New York angehörte. Man scheute einen Skandal, in dem ein orthodoxer Jude öffentlich durch ein Gericht als schwer krimineller Komplize der SS entlarvt wurde.
Jeffrey Sweet thematisierte den Stoff in dem Theaterstück “The Action Against Sol Schumann”, was mittlerweile in vielen Theatern aufgeführt wurde. In Deutschland wurde Stück bisweilen noch nicht aufgeführt – auch nicht im Theater Görlitz/Zittau.
Herbert Reubens im Stück “The Action Against Sol Schumann” (Photo © Amy Feinberg)
Quellen
[1] Bekanntgabe des United States Department of Justice vom 12. Mai 1987.
[2] Ebenda. Vgl. auch: Schlomo Graber: Schlajme, S. 82.
[3] Weitere belegte Fälle: Algimantas Dailidė (UDSSR); Boļeslavs Maikovskis (UDSSR) und Anton Geiser, der sich der Auslieferung durch die USA bis heute entziehen konnte.
[4] Siehe auch: weitere Presseberichte in den USA.
It was not my intention to blame your father, but I wanted to highlight a certain kind of legal action in the US that effected Demjanjuk in a similar way then your father. There are only a few cases where courts and police have been investigating against
holocaust victims because of crimes related to their time in a Nazi concentration camp. Both cases are very different, but they have in common that there have been victims that wanted justice for crimes once happened in the camps. Bringing justice is difficult, especially more then 70 years after the liberation.
Further more, we all know that neither the German SS guards were brought to justice (e.g. the commander of the camp Erich Rechenberg), nor that any court tried to consider the complex relations and implications for those inmates that were installed by the SS to keep the horrible system running.
Since I am researching about the former concentration camp in Görlitz for more then 10 years now I would like give the story of your father much more space. So fare I have testimonials of Schlomo Graber and that indirect reports of Leon Hostig that has been published by David van Biema: (see attached article: “Poisoned Lives”). However, I am aware that I that don’t know the whole story. Doing reasearch in history (it is not my profession) is much like talking/writing about the sources and information that sustained from the past. For me it is an ongoing process of searching and learning.
It would be a great to clarify the role of the so called functional inmates since some of them like Samuel Kessel somehow escaped their position and others like the Lagerälteste Hermann Czech stayed in memory of the survivors as the worst torturers of the camp. I am curios about the case of your father, considering his life before the camp in Görlitz.
I am incensed that this article compares John Demjanjuk with my father. I submit, that couldn’t be further from the truth. First of all Demjanjuk didn’t lose any family members from the Nazis. Secondly, he was never tortured as my father was. My father lost the sight in one eye from being beaten by Nazi guards, In addition, they broke his nose and back. Lastly, my father didn’t apply for the position, he was selected. The bottom line is my father witnessed his mother and father being murdered. He lost his first wife and infant daughter. If it was me, I don’t think I would have survived.
I am very proud of my father and only wished to be half the man he was.