112 Tage noch bis zur Bekanntgabe der Finalisten der Google Impact Challenge

Anfang des Jahres hatte ich mich für zwei Vorhaben stark gemacht und ins Rennen der Google Impact Challenge geschickt:

Lusatio: Netzwerk für Oberlausitzer im Ausland.

270.000 Oberlausitzerinnen haben seit 1990 die Region verlassen. Abwanderung und
Überalterung schwächen Wirtschaft, Kultur und das Vertrauen in die
Demokratie.

Inspiriert von den Südsternen in Südtirol soll eine Online Community geschaffen werden, die sich durch die Ideen und den Einsatz der besten oberlausitzer Köpfe im Ausland ständig
weiterentwickelt und im ständigen Dialog mit der oberlausitzer Wirtschaft und Gesellschaft steht. Die deutschland-/weltweit ausgewanderten Oberlausitzer_innen werden sich in der Community vernetzen, ihre Identität als Oberlausitzer_innen erkennen und eine engere Bindung mit den Menschen, Institutionen und Unternehmen der Region eingehen.

Zusammen mit den Studierenden im Kurs “Gestaltung kooperative Systeme” haben wir am letzten Samstag ein Konzept für eine solche multilokale Community entwickelt und viele Ideen gesammelt.

Das Vorhaben erfolgt unter der Schirmherrschaft des Integralis e.V. und dem “Bündnis Zukunft Oberlausitz”.

Theresienstädter Propagandafilm: Fake-News 1945 und heute.

Die NS-Zeit erscheint vielen im Geschichtsunterricht und bei Gedenkstättenführungen als abstrakt, ohne Bezug zu aktuellen Themen, Opfern, Tätern und Schauplätzen.
Am Beispiel des NS-Propagandafilm »Theresienstadt« wollen wir zeigen wie geografische, biografische und die Propaganda entlarvende Annotationen kommentiert und mit Ansichten heutiger Plätze und aktuellen Beispielen für Methoden zur Meinungsmanipulation kontrastiert werden können.
Das Ziel besteht darin, Jugendliche zum kritischen Umgang mit audiovisuellen Medien anzuregen und historische Zusammenhängen am Beispiel des Theresienstädter Propagandafilms als interaktiven Lernfilm darzustellen.

Das Vorhaben erfolgt unter der Schirmherrschaft der Jugendbegegnungin Theresienstadt/Terezín e.V.. Weitere Kooperationen mit Karel Magry und Historikern von der FernUniversität in Hagen sind geplant.

Zehn PEGIDA Witze

Abgesehen von #schneegida gibt es scheinbar noch keine PEGIDA-Witze. Ich mache hiermit einen Anfang und bitte um weitere Zusendungen.

 

Was ist der Unterschied zwischen PEGIDA und der Dresden Stadtreinigung?
Die Stadtreinigung sorgt für Ordnung und Sauberkeit.

 

Warum demonstriert PEGIDA immer montags? Weil dann der Rausch vom Wochenende noch anhält.

 

Warum demonstriert PEGIDA immer abends?
Aus Angst mit der Sonne würde auch das Abendland untergehen.

 

Was ändert sich nach einer PEGIDA-Demo?
Der Wochentag.

 

Warum demonstriert PEGIDA neben der Dresdner Schlosskirche?
Weil sie dachten, der Kirchturm sei ein Minarett.

 

Was macht ein PEGIDA-Anhänger nach der Demonstration?
Sein Bild in der Lügenpresse suchen.

 

Kommt ein PEGIDA-Anhänger in den Zeitungsladen.

 

Was wäre Dresden ohne PEGIDA?
Eine Stadt, in der rechtes Gedankengut ebenso weit verbreitet ist, wie im Rest des Freistaats.

 

Welche Sportarten bevorzugen die Anhänger von PEGIDA?
– stehend Spazierengehen
– an der Kuppel des Lüpsiusbaus Lügen auspressen
– Schach nur mit Bauern und König
– Transparent-Mikado
– Stammtischtennis
– Ringen, römisch-katholisch
– Maulkorbball

 

Was würde passieren, wenn PEGIDA einen eigenen Staat gründen würde?

  • Deutschland müsste keine Mauer darum bauen, weil PEGIDA es selber täte.
  • Alle in Deutschland lebenden PEGIDA-Anhänger würden man dorthin abschieben.
  • Bachmann könnte wieder koksen.
  • Das Abendland wäre nicht mehr bedroht.
  • Die AFD würde in Deutschland als ausländische Partei verboten werden.
  • Der Islamische Staat könnte dort seine erste ständige diplomatische Vertretung eröffnen.
  • Die Stadt Dresden könnte montags eine andere rechte Gruppe auf dem Theaterplatz demonstrieren lassen.

Noch mehr Ausländer

Der Integrationsbeirat Saarbrücken startete vor ein paar Jahren eine hübsche Plakatkampagne, die heute aktueller denn je ist.
Dargestellt waren jeweils Haustiere, deren natürliches Verbreitungsgebiet nicht in Deutschland liegt. Die Tiere sind also auch irgendwie Migranten.

Der Goldhamster zum Beispiel. Sein natürliches Verbreitungsgebiet liegt in Syrien, genauer in der Hochebene bei Aleppo. Etwa 1 Million dieser Tiere gibt es in Deutschland (Stand 1990). Dazu passt der Text auf dem Plakat: “Wenn es so einfach ist, einen Einwanderer aus Syrien zu akzeptieren, wo ist dann eigentlich das Problem?”


Siehe Bildquelle, Webseite des Integrationsbeirats

Im Hamsterrad der Drittmittel: Anti-Patterns effizienter Forschung und Lehre

1. Anti-Pattern: Mikrofinanzierung

Die Freiheit von Forschung und Lehre ging früher wohl einmal mit der finanziellen Freiheit einher, das Budget einer Professur im Sinne der Kernaufgaben auszugeben. Mit der Umstellung auf Drittmittelforschung konnte man sich diese Freiheit zumindest noch erkämpfen, in dem man gute Anträge schrieb und sich gegenüber der Konkurrenz behauptete. Da gewisse Drittmittelgeber nur nur bestimmte Kostenstellen finanzieren, können in den anderen Kostenstellen Lücken aufklaffen. Beispielsweise sind Reisemittel oft ausgschlossen oder auf eine bestimmte Region (Deutschland) beschränkt, während Forscher gleichzeitig zur Internationalisierung und zum Aufbau internationaler Kontakte angehalten sind. Um ein solches Loch im Drittmittelsack zu stopfen gibt es kleinere Finanzierungsmöglichkeiten, z.B. beim DAAD, der DFG oder an den Universitäten (z.B. die Graduierten Akademie der TU Dresden). Diese Mikrofinanzierungen betreffen aber auch Zuschüsse für Hilfskräfte, die dann eigenständig und freilich ohne Zuarbeit eine Forschungsfrage beantworten. In ähnlicher Weise können auch minimale Aufstockungen, etwa um 25% der Vollzeitäquivalente, als eine Mikrofinanzierung angesehen werden.

Eine weitere Konsequenz entsteht bei der Verwertung der Projektergebnisse. Durch die Zerstückelung von Stellen und Aufgaben kann ein erzieltes Ergebnis nicht mehr einwandfrei mit einem Projekt in Zusammenhang gebracht werden. In Folge verwertet man seine Ergebnisse (z.B. Publikationen) in mehreren Projektberichten. Im Extremfall ist das Subventionsbetrug, zumindest erzeugt es jedoch Redundanzen in Abschlussberichten.

2. Anti-Pattern: Wer nicht will der hat schon

Die Fakultäten erhalten in Sachsen nur 90% der ihnen zugesagten Mittel, wobei einzelne Professuren (oder Verbünde) um die fehlenden 10% der Mittel in Antragsverfahren miteinander konkurrieren. Wer sich also nicht um diese Mittel bemüht, d.h. sich am Vergabeverfahren beteiligt, geht einfach leer aus. Lehrstühle sollen damit die Initiative ergreifen und sich um eine Fortentwicklung von Lehre, Forschung und Organisation bemühen. Business as usual wird damit bestraft und Handlungsspielräume werden eingeschränkt. Da dieses Prinzip die ungleiche Kapazitäten und Belastungen einzelner Lehrstühle nicht berücksichtigt, ist eine Chancengleichheit nicht gewährleistet. Für den Ablauf des Begutachtungsverfahrens ist das Ministerium verantwortlich, d.h. von Fairness und Objektivität ist auszuegehen.

3. Anti-Pattern: Matroschka- oder Schneeball-Prinzip

Projektverantwortliche starten innerhalb ihres Drittmittelprojekts eine Ausschreibungen, um kleinere Geldbeträge nach selbst definierten Kriterien innerhalb einer bestimmten Zielgruppe zu verteilen. Wer diese Gelder bekommen möchte, muss sich mit einem Antrag darum bemühen und die Kriterien erfüllen. Was früher eine Stellenausschreibung war, sind hier die Förderrichtlinien. Statt eines Bewerbungsschreibens, wird ein Antrag eingereicht. Das Begutachtungsverfahren unterliegt keiner Kontrolle und werden in der Regel durch assoziierte Personen und Projektmitarbeiter getragen. Die üblichen Hüter der Chancengleichheit für Frauen und Menschen mit Behinderung, bleiben außen vor. In der Regel ergeben sich daraus nur sehr kurzfristige Finanzierungen von Wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Hilfskräften mit limitierten Sach- und Reisemitteln.

4. Ein Vorschlag für eine Metrik der Drittmitteleinwerbung

Der Dschungel verschachtelter und kleinteiliger Fördermöglichkeiten nimmt zunehmend mehr Zeit in Anspruch. Um dieses subjektive Empfinden zu quantifizieren, schlage ich einige Kennzahlen vor, die jeder für sich oder für seine Struktureineinheit  erheben kann. Interessant ist daran nicht nur der Vergleich zwischen verschiedenen Personen oder Abteilungen unter dem Dach einer Hochschule, sondern auch der Längsschnitt über meherere Jahre hinweg. Dem einzelnen können diese Zahlen vielleicht helfen, den Blick auf das Wesentliche, d.h. die Kernaufgaben, wieder zu schärfen und dem Hamsterrad der Drittmittel zu entkommen. Es wäre zu begrüßen, wenn wir im Sinne dieser Kernaufgaben wieder effizienter arbeiten könnten, anstatt massenhaft Antragsprosa im Markettingsprech zu formulieren.

Die folgenden Vorschläge für Metriken beziehen sich jeweils auf ein Kalenderjahr und alle eingereichten Drittmittelanträge, einschließlich mehrstufiger und nicht erfolgreicher Anträge.

  • Geschriebene Zeichen im Antragstext (zzgl. Zwischen-/Abschlussbericht) pro eingeworbenem Euro.
  • Verhältnis der in Anträgen geschriebenen Zeichen (zzgl. Zwischen-/Abschlussbericht) zur Zeichenanzahl aller Publikationen.
  • Kumulierte Anzahl der Manntage für  Planung, Erstellung von Anträge pro eingeworbenen Manntage.
  • Summe der Manntage, an welchen man sich mit der Planung, Erstellung von Anträge bzw. der Berichterstattung beschäftigt hat.

5. (Dritt-)Mittel der Wahl?

Im kleinen Hamsterrad im Getriebe der Hochschulen muss man sich schön mitdrehen, funktionieren. Aus anderen Ländern wissen wir jedoch, dass dieses System nicht alternativlos ist. Für klassische Finanzierung eines Mittelbaus machen sich bereits Mittelbauinitiativen stark, doch es gibt auch alternative Möglichkeiten Forschung und Lehre jenseits der Hochschulen zu betreiben. Vielleicht ist letzteres auch gewollt, um die fähigen Leute in die Arme der Wirtschaft zu spielen. Wenn jedoch das Ziel darin besteht, Forschung und Lehre zu bestreiten, gibt es sicher noch weitere Alternativen. Ich versuche es mal mit einer Auflistung:

  • Forschung durch Bürgerwissenschaft. Siehe http://www.buergerschaffenwissen.de/
  • Lebenslanges Lernen (und Lehren) anhand freier Lernressourcen, Forschungsergebnisse, …
  • Studentische Initiativen, die durch eigene Lehrangebote von der üblichen Lehrmeinung in den Wirtschaftswissenschaften abrücken. Siehe Impuls, Internationale studentische Initiative für Pluralismus in der Ökonomie (ISIPE)
  • Der Versuch das Konzept der Klöster auf eine atheistische Art und Weise neu zu erfinden ist mit den unMonastery wohl gelungen. Klöster waren im Mittelalter, weit vor der Gründung der ersten Universitäten, die einzigen Orte, in denen Menschen geforscht und gelehrt haben. Die strikte Lebensführung, sowie die Kombination aus körperlicher Arbeit (neudeutsch Sport) und Kopfarbeit erscheint auch in der heutigen Zeit weniger ungewöhnlich, als man glaubt.

 

Hypervideo: Kubikfoto des Braunkohleabbaus in der Lausitz

Greenpeace engagiert sich seit geraumer Zeit gegen die Erschließung weiterer Braunkohletagebaue in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz. Ein Ausdruck dieses Engagement zeigt sich in einer sehr ästethischen Kampagne braunkohle.info.
Umgesetzt wurde diese von einer Bremer Agentur namens Kubikfoto. Das gleichnamige Produkt verknüpft Fotos und kurze Videos zu einem interaktiven Storyspace. Nach dem Prinzip Detail on Demand kann der Anwender die Bilder oder Videos per Klick vertiefen und immer neue kurze Geschichten, Berichte, Fotoalben, Panoramabilder usw. betrachten. Man könnte auch sagen, dass Kubikfoto das Konzept von Prezi mit Hilfe von Videos umsetzt, wobei es Hypervideos dieser Art schon seit den 1970er Jahren gibt. Angereichert sind auch kleine Spiele, in denen Benutzerinteraktionen, wie das Ab- und Aufhängen eines Bildes, die Wiedergabe von Medien auslösen.

Sehr beeindruckend sind dabei die Übergänge zwischen den Szenen. In einer Mischung aus Stop Motion und Motion Blur verschwimmt der Weg zwischen zwei Drehorten in einem kontinuierlichen Fluss. Jenseits von Forschungprototypen habe ich auch eine Zeitleistensteuerung innerhalb des Videos noch nicht gesehen. Während die kurzen Clips gänzlich ohne Zeitleiste auskommen, kann man in einigen Filmen ein Scrubber im Videobild hin und her schieben, um die Abspielposition zu variieren.
Bemerkenswert finde ich auch Möglichkeit innerhalb des Betrachtungsfensters das darin befindliche Video oder Bild per Maus zu verschieben. Dadurch wirkt es, als könne man sich in einer Szenerie selbst umsehen.

Zusammengefasst erachte ich Kubikfoto als eine der bemerkenswertesten Hypervideo-Realisationen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Trotzdem der Produktionsaufwand in den Kubik-Studios offenbar sehr hoch ist und das zur Umsetzung notwendige Werkzeug das Kapital der Agentur darstellt, wäre eine stärkere Interaktion mit den Nutzer wünschenswert. In den USA hätte man für dieses Tool sicher genug Risikokapital auftreiben können, um eine Kubik-Community oder ein Kubik-Portal zu entwickeln. Warum verstecken sich die Deutschen immer hinter ihren kleinteiligen Lösungen, anstatt sie groß raus zubringen? Ich sehe hier auch sehr viel Potential im Bereich der Gamification, die über die halbherzigen YouTube Games hinausgehen. Ich würde jedenfalls gern ein paar der UI Konzepte aufgreifen und im Kontext des Lernens mit Videos umsetzen.

Der Braune Hirsch aus Lübeck*

Die Kontroverse über den Lübecker Unternehmer und Professor Winfried Stöcker ist im vollem Gange. Nachdem Stöcker in seinem Görlitzer Jugendstilkaufhaus ein Benefizkonzert zugunsten von Flüchtlingen untersagt hatte, katapultierte er sich in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung ins rechte Abseits. Ich zitiere:

  • “Mir sind aber so viele ausländische Flüchtlinge nicht willkommen.”
  • Über die Flüchtlinge aus Afrika: “Die reisefreudigen Afrikaner sollen sich dafür einsetzen, dass der Lebensstandard in ihrem Afrika gehoben wird, anstelle bei uns betteln zu gehen.”
  • “Vor zwanzig Jahren haben sich in Ruanda die Neger millionenfach abgeschlachtet.”
  • “Aber sie [die Türken] haben nach meiner Auffassung kein Recht, sich in Deutschland festzusetzen und darauf hinzuarbeiten, uns zu verdrängen, darauf läuft es hinaus, wenn nicht gegengesteuert wird!”
  • “Viele Türken kommen auf einer Einbahnstraße in unser Land, indem die Eltern ihre Kinder ganz gezielt in Richtung Deutschland verheiraten, es heiratet niemand in die andere Richtung.”

Der MDR gab Stöcker nun die Gelegenheit seine Worte ins richtige Licht zu rücken. Dabei milderte er seine Wortwahl, argumentierte jedoch weiter gegen Zuwanderung und sogar gegen das Weihnachtsfest. Dies gefiel den Görlitzern überhaupt nicht. Der OB Deinige kritisierte Stöcker heftig. Der Förderverein des Kaufhauses am Demianiplatz löste sich kurzerhand auf. Einige Empfänger von Stöckers Geldgeschenken, gaben das Geld zurück.

Die Görlitzer haben damit Mut bewiesen, ihre Werte nicht für das Geld eines Investors zu verkaufen. Doch am finanziellen Tropf des Mäzens hängt nicht nur Görlitz. Viele weitere Kommunen sowie soziale und kulturelle Einrichtungen listen Stöcker als Sponsor und Unterstützer. So ist Winfried Stöcker beispielsweise ein privater Mäzen der Bayreuther Festspiele, des Lübecker Theaters und der Semperoper bzw. der Dresdner Staatskapelle. Auch die Diakonie-Sozialwerk Lausitz und ** das Herrnhuter Hospiz unterstützt er privat oder im Namen seiner Firma. Wahrscheinlich fördert er noch dutzende andere Einrichtungen. Es lässt sich nicht recherchieren, denn er prahlt damit nicht. Im Besonderen wirkt Stöcker in der Gegend von Bernstadt und Herrnhut. In Herrnhuts Ortsteil Rennersdorf unterhält Stöcker einen Standort von Euroimmun. In Bernstadt ist er aufgewachsen, dort betreibt er u.a. einen Kindergarten, ein Kulturzentrum (Kiesdorf) und das Traditionshotel “Brauner Hirsch”.

Die Frage ist nun, welche dieser Einrichtungen und Kommunen den Mut aufbringen, sich gegen Stöckers fremdenfeindliche und rassistische Meinung zu stellen. Vor allem die Stadt Herrnhut*** mit ihrer christlichen und humanistischen Tradition täte gut daran, ein Zeichen der Nächstenliebe und Toleranz auszusenden. Herrnhut würde ohne Zuwanderung der “reisefreudigen” Glaubsflüchtlinge aus Böhmen und Mähren gar nicht existieren. Bernstadt hat dahingehend keine so starke Tradition und befindet sich in einer ungleich größeren Abhängigkeit von Euroimmun und Stöckers Engagement. Dennoch ist es falsch, sich durch ein Schweigen gegen die nach Bernstadt zugewanderten Menschen und die christliche Tradition des auf klösterlichen Land gegründeten Ortes zu stellen.

** Update: Die Stiftung Diakonie-Sozialwerk Lausitz hat die von W. Söcker erhaltenen Gelder laut Frau Stephanie Giert zurückgegeben und konnte den Ausfall durch andere Spender kompensieren.

*** Update: Eine Anfrage bei der Stadtverwaltung blieb bislang unbeantwortet.

PEGIDA und die Rufe der Überforderten

Medien und Politik können PEGIDA nicht greifen. Es gibt weder einen wahren Anführer, noch Kompetenzstrukturen oder eine gerichtete Kommunikation nach Außen. Alle demonstrieren und kommentieren wie es ihnen beliebt und lassen sich einen Maulkorb verpassen, wenn sie von Medienvertretern direkt angesprochen werden. Das diffuse Rampenlicht bei Facebook und auf den Straßen und Plätzen  fördert dabei radikale und extreme Ansichten zutage – wer am lautesten schreit, findet Beachtung. Inzwischen hat auch der letzte kapiert, dass die Sozialen Netzwerke kaum mehr als verlängerte Stammtische sind.

Zunächst erinnert dieses Chaos jedoch an andere Protestbewegungen. Ohne feste Struktur stellte sich die spanische Protestbewegung Movimiento 15-M der Öffentlichkeit – freilich mit heheren Zielen. Dort rotierten die Sprecher täglich, während intern sehr intensiv debattiert und abgestimmt wurde. Auch die Piratenpartei schockierte die Medien durch eine unkoordinierte Kommunikation auf hunderten Kanälen (Wiki, Blogs, twitter, Mailinglisten). Die angestrebten basisdemokratischen Grundsätze verhinderten selbst Stellungnahmen der intern gewählten Vertreter, welchen die Rolle von Vermittlern und Verwaltern zugesprochen wurde. Die Piraten waren inhaltlich ähnlich homogen und fungierten lange Zeit als Sammelbecken diverser politischer, vor allem linker Strömungen. 15-M und die Piraten sprachen sich jedoch für Innovationen aus. Bei PEGIDA überwiegt eine kulturpessimistische Grundeinstellung, die ich als Kern der Bewegung begreife. Kulturpessimisten glauben an einen ständigen Abstieg von einem guten oder idealen empfundenen Urzustand. Insbesondere der Fortschritt in allen Kulturbereichen wird pessimistisch gesehen. Dabei geht es nicht allein um den technischen, sondern insbesondere den damit immer einhergehen gesellschaftlichen Fortschritt. Anhand der folgenden vier Beispiele möchte ich diese Denkweise versuchen zu erklären:

  • Supranationale Demokratie und Staatswesen: Die Komplexität der föderalen und bundesdeutschen Staatsform mit  seinen Gremien, Prozessen und Gesetzen wird durch Einbindung in die EU noch einmal übertroffen. Wie Leopold Korr und Kurt Schumacher schon predigten, wünschen sich nicht wenige ein Europa der (überschaubaren) Regionen. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland, Baskenland und Flamen geben Beispiele dafür ab.
  • Pluralistische Gesellschaft: Eine Vielfalt an Kulturen, Sprachen, Religionen, politischen Gesinnungen, Genderisierung und nicht zuletzt an Lebensentwürfen gehört zu unserem Alltag. Wer damit zurecht kommen möchte, benötigt einen differenzierten Überblick über das gesellschaftliche Spektrum und vor allem Empathie für die Andersdenkenden. Die Fähigkeit zur Empathie ist in Anbetracht von Kriegen, Post-Kolonialismus und Umweltzerstörung zentral.
  • Globaler Wettbewerb: Unternehmen sehen sich einem globalen Wettbewerb konfrontiert und agieren ebenso global. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa hat diesen Wettbewerb auch auf dem Arbeitsmarkt übertragen. Voraussetzung für diesen Wettbewerb sind die technischen Mittel zur Kommunikation und Mobilität.
  • Automatisierung/Digitalisierung: Die Automatisierung in der Produktion und die Digitalisierung im Dienstleistungssektor fordert Arbeitsplätze von weniger qualifiziertem Personal. Die Verdrängung des Menschen durch Maschinen verlangt den Betroffenen die Fähigkeit zur Beherrschung Maschinen ab. Nicht jeder ist dazu im Stande. Wer Technologie nicht beherrscht, wird von ihr mitbeherrscht (z.B. NSA, Datenschutz im Social Web, Fahrzeugnavigation, ect.). Problematisch ist dabei insbesondere die Geschwindigkeit der Vorgänge, namentlich die kurzen Innovations- und Produktzyklen, aber auch rasanten Abläufe wie im elektronischen Börsenhandel (vgl. Paul Virillo).

Die Überforderung mit dem wirtschaftlichen, technologischen und organisatorischen wie auch dem gesellschaftlichen Fortschritt wälzt PEGIDA insbesondere auf Asylbewerber ab. Asylsuchende sind in unserer Gesellschaft am schlechtesten gestellt. Sie werden schlecht finanziert, besitzen kaum Bewegungsfreiheit, haben kein Recht auf Arbeit und sind von der  demokratischen Teilhabe ausgeschlossen. Und sie sind in der Minderheit. Sie können sich zahlenmäßig ohne unsere Unterstützung nicht (politisch) wehren. Die eingangs genannten vier kulturpessimistischen Perspektiven finden sich mehr oder weniger versteckt in den Kommentaren und auf den Transparenten von PEGIDA wieder: Europa soll die Einwanderungspolitik neu regeln; die ethnische Herkunft soll im Strafrecht berücksichtigt werden; usw.

Ich denke es ist wichtig diesen Ausdruck von Überforderung ernst zu nehmen und von den Parolen zu abstrahieren. Es gibt in Deutschland bisweilen keine Partei, die sich gegen den Fortschritt stellt. Nicht einmal die Wachstumskritiker stellen sich gegen soziale oder technische Innovationen. Dies wäre auch eine unpassende Antwort die bestehenden Probleme weltweit (z.B. Millennium Entwicklungsziele, Kyoto-Ziele, ect.).

Die Glorifizierung des Gestrigen (Ostalgie/DDR) und das typisch deutsche “früher war alles besser” kocht übrigens nicht zum ersten mal hoch. Bereits Hitler knüpfte argumentativ an die Zeit vor dem 1. Weltkrieg an und schon während der Weberaufstände im 18. und 19. Jahrhundert gaben die arbeitslos gewordenen Weber den Maschinen und Fabrikanten die Schuld an ihrer (nicht unbedingt selbstverschuldeten) Misere. Es gibt sicher treffendere Beispiele aus der Geschichte, von denen wir hier in Dresden und Sachsen lernen können, wie ein überfordertes Volk zu einem bürgerlich liberaleren Kurs finden kann.