Die Quelle des Amazonas

Nach Einbruch der Dunkelheit begann die Realley durch den Urwald. Unser Wagen: ein Toyota Corolla; Unser Ziel: die Hafensatdt Yurimaguas. Mit 80 Sachen und 5-Mann Besatzung lagen wir recht gut auf der Piste. Ab und zu kam auch ein Stück Teerstrasse, da ging’s natürlich schneller. Blöd war nur der Gegenverkehr und die fehlende Fahrbahnmarkierung, aber dass hat den Fahrer weitaus weniger beunruhigt, als mich. Augenblicklich, als wir in Yurimaguas zum Stehen kamen, stürmte eine Gruppe Mototaxistas (Motorrd-Taxi-Fahrer) auf das Auto zu, um Touristen zu erspähen. Ich gehörte zu der von ihnen gesuchten Spezies und durfte mir zugleich ihren Chorgesang anhören: “Lagunas, Lagunas, Lancha a Iquitos, vamos, vamos”. Penetranter geht’s gar nicht. Da ich jedoch irgendwie vom Fleck kommen musste, sprang ich in eines ihrer Motos. In ein bestimmtes Hotel ‘Cesar ..irgendwie’ sollte er mich bringen. Er meinte, man habe es vor einem Jahr umbenannt, es heisst nun ‘Hostal Mirabel’. Die Frau an der Rezeption bestätigte mir dies zugleich. Mit ein wenig Widerwillen und größter Besorgnis gab sie mir ein Zimmer OHNE Fernseher. Für 15 Soles bekam ich Bett, Dusche, WC, Ventilator und eine Steckdose. Wie ich am nächsten Tag sehen sollte, existierte das von mir ursprünglich gesuchte Hotel sehr wohl noch unter seinem Namen. Man muss wissen, dass alle Taxistas ein Abkommen mit irgend einem Hotel haben und für jeden vermittelten Gast und Tag ein paar Soles erhalten. Gleiches gilt für Restaurants. Folglich ist man stets schlecht beraten, wenn man einen Taxista nach einem guten Restaurant fragt. Hinzu kommt, dass die Taxistas auch noch mit falschen Informationen aufwarten. So erzählte er mir beispielsweise, dass man bereits gegen 6 Uhr morgens auf dem Boot sein muess, um noch einen Platz zu erhalten. Als ich überpünktlich dort eintraf, war das Oberdeck noch fast menschenleer, da bis zur Abfahrt noch 6 Stunden vergehen sollten. Obendrein erfuhr ich, dass man an Bort vor Abfahrt kostenlos übernachten konnte und in Yurimaguas praktisch gar kein Hotel braucht. Nun gut, ich spannte meine neu erstandene Hängematte auf und lenzte vor mich hin. Später fuhr ich abermals in die Stadt, um mir auf dem Morgenmarkt ein paar Knapperein zu kaufen.

Zwischen Schildkröten, blinden Papageien und Affen gab es vor allem Lebensmittel des täglichen Bedarfs. Das Boot wurde währendessen weiter beladen. Reis, Bananen, Hühner, ein Hund in der Kiste, ein Auto, Zement und allerhand andere Säcke buckelten die Träger unter Deck.

Das darüberliegende Deck war für die zweite Klasse der Passagiere bestimmt. Ineinandergeschränkt hingen da gut über hundert Leute in ihren Matten. Die Fenster liessen sich zwar öffnen, doch die Hitze konnte trotzdem nicht entweichen. Wer den doppelten Fahrpreis für die zweiägige Reise aufbringen konnte, durfte mit dem luftigen Oberdeck vorlieb nehmen. Natürlich stand da wieder eine Glotze, auf der gleich am ersten Abend der Film “Titanic” lief. Wie passend. Für 500 Soles (120 Euro) konnte man sich den absoluten Luxus einer privaten Kabine mit Doppelbett geben. Da sich jedoch niemand der Anwesenden diesen Kompfort gönnen wollte, konnte die sympathische Stewardess Belalinda dort einziehen.

Ja, und so schipperten wir zunächst den Fluss namens Huallaga hinunter, der später in Marañón mündet und schliesslich mit dem Ucayali den Urspung des Amazonas bildet. Ansich war das nicht sonderlich spannend. Der Wald am Ufer schien weit weg und ausser ein paar Flussdelphine sahen wir kaum irgendwelche Tiere. Hin und wieder trieb ein Baum oder ein bisschen Müll an uns vorbei. Die Zeit verging beim Warten auf’s Essen oder beim Lesen in der Hängematte. Als durchaus interessant empfand ich die anderen Passagiere. Viele wollten den gesamten Amazonas per Boot befahren, manch andere, wie die beiden angehenden Fotojournalisten Michael und Jessica oder der EU-Gesandte Miguel hatten nützliches im Sinne. Michael und Jessica sind dabei die 10 meist verschmutzten Orte der Welt (Ranking fraglich) zu besuchen. Gleich zwei davon sind in ‘el Peru’: La Oroya und ein Dorf im Amazonasgebiet, welches stark unter der Erdoelförderung leidet. In La Oroya, der Stadt der “Children of Lead” (Kinder des Bleis) war ich auch schon, jedoch ohne zu wissen, wie schlimm es um die Bewohner steht. Angesichts meiner Arbeit bei ZINSA und der dort herschenden Zustände im Umgang mit Blei, werde ich mich daheim ebenfalls einem Bluttest unterziehen, um den Bleigehalt zu erfahren. Einer ganz anderen Problematik, nämlich der Abholzung des peruanischen Regenwaldes, kann man sich hier ebenfalls nicht verwehren. In 30 Jahren, so sagt man, soll es außerhalb der Nationalparks keinen Regenwald mehr geben. Vom Boot aus sieht man viele junge Bäume und nur sehr wenige Baumriesen. Besonders in der Nähe der Doefer prägen höchstens ein paar Sträucher und Palmen das Landschaftsbild. Unberührten Wald (Urwald Kategorie A) findet sich hier ganz bestimmt nicht mehr. Für jeden gefällten Baum müssten 20 neue gepflanzt werden, doch die Firmen sehen darin keinen ‘Return of Invest’ und den Leuten in den Doerfern mangelt es am nötigen Wissen. So wie man durch die einst vom Hochland-Dschungel begrünten und heute kahlgeschlagenen Anden fährt, wird man also bald auch diesen Teil des Landes als eine Wüste oder bestenfalls Gras- oder Forstlandschaft erleben. Miguel hat mir vieles dessen erzaehlt. Er selbst ist in Yurimaguas aufgewachsen, lebt nun in New York als EU-Beauftragter in Sachen Welthungerhilfe. Obwohl es absurd klingt, ist er damit beschäftigt in Peru Nahrungsmittel für Afrika zu beschaffen. Auch er weiß, dass es auch den Menschen in Peru an (vielseitiger) Nahrung fehlt. Ich war ziemlich verdutzt als mich des nachts auf dem unteren Deck, während einer kleinen Jam-Session, ein junger Kerl namens Imer ansprach, der dabei war, die Bevölkerung über ebendiese Mangelerscheinungen aufzuklären. Er bestätigte mir meine bisherige Vermutung, wonach der tägliche Konsum von (weissem) Reis auf Dauer schädlich ist (Vitamin B2 Mangel) und es der realen peruanischen Küche an Ausgewogenheit und Vielfalt fehlt – teils aus Armut, teils aus Unwissenheit der Menschen. Das letztgenannte Problem lässt sich leichter anpacken und so bereist Imer nun schon seit einem Jahr im Auftrag des Gesundheitsministeriums das Land – ständig um Dialog und um Aufklärung bemüht. Neben dem gesundheitlichen Aspekt geht es ihm gleichermaßen darum, den Leuten einen Sinn für ‘Vertrauen’ zu vermitteln. Das mag jetzt aus deutscher Sicht etwas lächerlich klingen, doch der Magel an Confianza – so der spanische Begriff – ist die Grundlage einer jeden Gemeinschaft – ganz gleich, ob es sich um eine Familie, ein Unternehmen oder einen Staat handelt. Das häufige Fremdgehen peruanischer Männer (und Frauen) begründet man gern etwas rassistisch mit dem Latino-Temprament (“el calor”), doch liegt die Ursache im Mangel an Zuneigung und Interesse, versichert mir Imer. Dabei musste ich an meine ehemaligen Arbeitskollegen bei ZINSA denken.

Im Verlauf der Schiffsreise konnte sich eigentlich niemand von uns über unzureichende Ernährung beklagen. Bei drei Malzeiten täglich fühlten wir uns durchaus gemästet. Auch das Problem der Abholzung offenbarte sich uns frühstens bei der Ankunft im Hafen von Iquitos, wo hunderte meter-dicke Baumstämme im Wasser trieben.

Die Zeit verging wie gesagt recht schleppend. In jedem größeren Dorf legten wir an, um Waren ab- und aufzuladen. Kleinere Dörfer, die nur wenige Güter zu tauschen vermochten, schickten kleine Boote zu uns herüber. Nie gab es jedoch richtige Anlegstellen, sondern vielmehr erdige Treppen, die dem saisonalen Wasserstand entsprechend viele Stufen hatten. Die Leute schleppten zumeist gleich zwei große Säcke aufeinmal. Einmal sollte ein Schwein aufs Boot – anstatt es jedoch auf vier Pfoten den Hang hinunter laufen zu lassen, zogen es zwei Männer mit einem Strick am Hinterlauf  den Hang hinunter. Es schrie, wie am Spieß und kam erst zur Ruh’, als es nahe des Dieselmotors angebunden wurde.

Morgenstund und Orchideen

Gegen Mittag wurde es richtig heiß in Piura. Mein Bus stand in der brütenden Hitze und liess den Motor warm werden (das machen hier alle Autofahrer bevor sie losfahren).  Für die nächsten 18 Stunden quetschte ich mich in die erste Sitzreihe, die für Kinder gemacht schien. Der Bus fuhr Richtung Osten durch die kargen Trockenwälder bis schliesslich die ersten Andengipfel auftauchten. Ständig stiegen Leute hinzu und sammelten sich im Gang. Mehrere Babys schrieen. Einige Kinder saßen aufeinander. Durch ein kleines Dreiecksfenster konnte ich mein rechtes Bein hinausstecken und etwas Platz und Abkühlung erlangen. Des nachts verbesserte sich die Temperatur ein wenig. Wir hielten in Jaen, wo die Takstellenbesitzer, schier normal, seinen Kunden mit einem Gewehr entgegentraten. Die Warnungen vor nächlichen Überlandfahrten des deutschen Auswärtigen Amts und verschiedener Reiseführer kamen mir plötzlich wieder in den Sinn. Dennoch schaffte ich es ein Auge zu zu drüken und war ganz verdutzt, als mich irgendjemand morgens um 5 Uhr in Moyebamba weckte. Es war noch dunkel und auf dem Busbahnhof nächtigten einige Leute. Ich setzte mich auf eine Bank und frühstückte ein paar belegte Brote und Bananen. Auf der so genannten Toilette konnte ich mir sogar die Zähne putzen. Inzwischen war es hell geworden und die Meute von Motofahrern (dreirädrige Motorradtaxis) stand in den Startlöchern. Ich eröffnete eine Auktion für eine Fahrt zu den Schwefelbädern. Philofeno gewann innerhalb von 10 Sekunden mit seinem Angebot von 8 Soles. Mit einem Grinsen und hochgetreckten Daumen verabschiedete er sich von seinen Kollegen und führte mich zu seinem Moto.

Die Schwefelbäder lagen am Rande des Waldes, etwa 30 Minuten ausserhalb der Stadt. Die Sonne war noch nicht mal richtig aufgegangen, als wir am Ende eines holprigen Weges die drei milchig weißen Bassins erblickten. Ein junger Kerl fischte noch schnell ein paar Blätter heraus, bevor ich mich kurz in die kühlen Pfützen setzte. Der recht unangenehme Schwefelgeruch machte es nicht gerade zu einem prickelnden Erlebnis, doch immerhin fühlte ich mich danach etwas sauberer und angenehmer als zuvor. Etwas oberhalb der Becken befand sich die Quelle, so wie ein 10m hoher Wasserfall, in dessen Fallbecken sich einige Flusskrebse tummelten.Wenngleich Moyobamba die Hauptstadt des Departmento San Martin ist, bietet sie nichts Aussergewöhnliches, was mich zu einem längeren Aufenthalt hätte bewegen koennen. Lediglich eine kleine private Orchideenausstellung der Familie Villena-Bendezu weckte mein Interesse.

Es war vielmehr eine kleine Gärtnerei mit allerhand Viehchern. Neben großen Aras und anderen kleineren Papageien, saßen eine Schildkroete, vier Krokodile, eine Boa Constrictor und zwei Schweine hinter Gittern und Glas.

Die gebotene Vielfalt an Orchideen war beindruckend. Einige Arten kannte ich aus Mutters Blumentöpfen, andere hatte ich anderenorts im Hochlanddschungel (nahe Cusco) gesehen. Der gesamte Garten grenzte unmittelbar an den Urwald. Nebelschwaden verhüllten den Ursprung teils schriller, elektronisch anmutender Töne. Eine gute Stunde hielt ich inne und bestaunte diesen paradisischen Ort samt seiner Blütenpracht. Die Schönheit der Orchideen schien sich übrigens auch auf die Frau Gärtnerin und ihre beiden Töchter ausgewirkt zu haben.

Nun gut, es war gerade mal 8:20 als ich ein Sammeltaxi nach Tarapoto gefunden hatte. Mit quietschenden Reifen drifteten wir auf der super aspfaltierten Straße binnen zweier Stunden in die “Stadt der Palmen”. Die schwüle Hitze erdrückt mein Verlangen nach touristischen Unternehmungen, die es ohnehin nicht gab, und so bewegte ich mich nicht einmal ins Stadtzentrum. Statt dessen lungerte ich den ganzen Tag in der Halle eines Taxiunternehmen (Cajamarca S.A.) herum. Nicht das es mir dort gefallen hätte, doch irgendwo musste ich ja schliesslich warten bis die Bauarbeiter die Straße nach Yurimaguas wieder frei geben. Ein nahes Internetcafe zerstreute die Langeweile ein wenig. Wegen Sprengungsarbeiten ist die Strasse nach Yurimaguas, außer sonntags, lediglich zwischen 18 und 5 Uhr befahrbar. Bis vor einiger Zeit galt die Strecke wegen der großen Cocaplantagen und Drogenlabors noch als äußerst gefährlich. Die ungeminderte Bedeutung des Drogengeschäfts ist kein unwesentlicher Grund für Tarapotos wirtschaftliches Wohlergehen. Jedoch ist mir nichts der Gleichen aufgefallen.

Tarapoto