Der Pfad der toten Tiere

Hätte ich meinen Rückflug etwas später gebucht oder weniger Zeit im Dschungel verlebt, wäre ich ganz sicher den 10-15-tägigen Huayhuash-Treck gelaufen, doch diesmal reichte es nur für den kleinen Bruder, den Santa Cruz Treck. Das ich dem 4-Tage-Treck später diesen schrecklichen Beinamen geben würde, hätte ich nicht gedacht und ganz sicher auch nicht unterstützt.

Die Fahrt zum gewählten Anfang des Weges (man kann ihn auch andersherum laufen)

In Huaraz versuchte ich zunächst andere Touristen für diesen Treck zu gewinnen, um die Kosten für einen Guide zu sparen. Außerhalb der Saison schien dies jedoch ein Ding der Unmöglichkeit und so ließ ich mich auf ein Angebot meines Hostels/Hotels ein, in Folge dessen ich mir zusammen mit vier anderen Leuten einen Bergführer plus Eseltreiber und ausreichend Packesel/Pferde teilte. Da ich ohnehin die letzten vier Wochen mit einem 13kg schweren Tagesrucksack unterwegs war, verzichtete ich darauf, dem Esel mein quasi Handgepäck aufzubürden. Dennoch ertrugen die zwei Pferde und der Esel unsere Zelte, das Proviant und die Rucksäcke meiner Begleiter.


“Caramelo” scheint das erst spanische Wort eines, ansonsten queschua-sprechenden Kindes in den Bergen zu sein.

Während der ersten frostigen Nacht bot mir mein Schlafsack nicht mehr den Komfort, der mir zum Schlafen genügt hätte. Vielleicht lag es auch an der zu dünnen Isomatte, die mir Willer gegeben hatte. Jedenfalls fröstelten wir alle ein wenig und wollten schnellstmöglich ins Sonnenlicht. Willer schickte uns schon mal allein los. Er wollte warten, ob der Eseltreiber den davongelaufenen Esel finden kann. Die Esel werden in der Regel nur vor dem Treck richtig gefüttert und müssen sich in den Bergen von dem ernähren, was andere Huftiere vor ihnen stehen gelassen haben. So dumm, wie die Esel in Fabeln oft erscheinen, schien der unsrige nicht gewesen zu sein, denn schließlich flüchtete er dahin, wo es futter gab: ins Dorf.


Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen nach der kalten Nacht.


Kein Cow-Boy, ein Donkey-Boy läuft da.

Er tauchte auch nicht wieder auf, so dass die beiden Pferde allein mit der Last fertig werden mussten. 80kg würden die vergleichsweise kleinen Hopperle tragen können, doch unsere Treiber tauschte sie gegen zwei andere Esel ein, die mit den Umweltbedingungen besser zurecht kommen würden. Das dem so ist, sah wir an dem verendeten Tier nahe eines Bergsees.


Getrübte Schönheit: ein verendeter Esel kurz vor dem Pass.


Malerische Spiegelung.

Wir bewegten uns indes schon im Zeitlupentempo auf den 4750m hohen Pass zu. Ich fand meinen Rhythmus und versuchte ihn zu halten. Auf den letzten 30 Metern schien alle Erschöpfung verflogen. Das Ziel vor Augen, legte ich unbewusst einen Zahn zu und wollte, nach erreichen des Passes, noch höher hinaus auf den Kamm Richtung Gletscher. Das mächtige Massiv hatte zwar eine unheimliche Anziehungskraft, doch blieb es mir gleichermaßen zum Greifen nah und unerreichbar.


Der Kamm.

Beim nächsten mal möchte ich das Eisklettern erlernen, anstatt ständig an den Gipfeln vorbeilaufen zu müssen. Falls ich dies hier in der Cordillera Blanca lernen möchte, sollte ich dies innerhalb der nächsten 12 Jahre tun, so lange die Gletscher und Schneekappen der Gipfel noch nicht geschmolzen sind. Die Klimaerwärmung begegnet einem also auch hier. Kürzlich schnallte sich Willer seine 3-Jährige Tochter auf den Rücken und nahm sie mit zum Eisklettern auf einen 5200er. Die Menschen in den Bergen sind ganz gewiss auch einem etwas anderen Holz. Er hat nun während seiner 8-Jährigen Arbeit als Bergführer schon zwölf der zweiunddreißig 6000er in der Cordillera Blanca und in der Cordillera Huayhuash bestiegen. Im letztgenannten Gebirgszug sind übrigens ettliche 6000er noch nie bestiegen worden.


Alles Kleinigkeiten: Willer, unsere Bergführer.

Bei einem kurzen Nickerchen hatte die Sonne Gelegenheit meine durchschwitzten Sachen zu trocknen. Der Abstiegt glich einem Spaziergang, wenngleich mir aufkommende Kopfschmerzen zunehmend zu schaffen machten. Ein Schirmmütze bietet eben nicht ausreichend Schutz für den Hinterkopf, so dass ich im Zeltlager schlussendlich von einen Sonnenstich ausgehen musste, denn an die Höhe hatte ich mich bestens gewöhnt. Eine längst verfallene Parazetamol sorgte für einen halbwegs klaren Kopf beim Abendessen.

Willer kochte hervorragend und vor allem sehr viel. Attraktion des Abends war ein besonders großer Kondor, welcher eines Esel- und Pferdekadavers wegen, in unsere Nähe kam. Das sich das tote Getier nicht gut auf die Wasserqualität des nahen Baches auswirken mochte, schien uns klar, doch hielt es uns nicht davon ab im Bach zu baden und unsere Wasserfalschen (unter Beigabe von …) aufzufüllen.

Der nächste Tag verlief abgesehen vom Besuch des Apumayo-Basiscamp (“Der schönste Berg der Welt”), recht unspektakulär, wenn auch die Landschaft deswegen nicht weniger schön war. Wir liefen durch ein breites und flaches Tal.


Irgendwann habe ich aufgehört die Pferde- und Eselskelette zu zählen.

Unser Eseltreiber sagte mir, dass die Tiere hier nicht älter als 13 Jahre werde würden. Anstatt schwerer Lasten haben Esel in guter Haltung nicht selten 40 Jahre auf dem Buckel. Einer unser beiden Lastentiere hatte sein 12. Lebensjahr schon begonnen und freute sich, ebenso wie sein Leidensgenosse, über Kekse und Äpfel.


Un Picaflor – auf deutsch Blütenpicker oder besser: Kolibri.

Kakteen und andere dornige oder dickblättrige Gewächse bestimmten mehr und mehr die Vegetation in tieferen Lagen. Die unter Reisenden wahrscheinlich bekannteste Kakteenart ist sicher der San Pedro Kaktus (echinopsis pachanoi) wegen seines Mescalin-Gehalts. Wir zelteten an einem Bachlauf, der sich zum Baden anbot, und genossen den letzten Abend inmitten der Berge.


Obwohl ein Fluss, ein Berg und der von uns gelaufene Weg den Namen Santa Cruz (Heiliges Kreuz) trägt, bekommt dieses Kreuz unfreiwillig eine zweite Bedeutung.
Wer beabsichtigt, diesen Weg zu laufen und auf Lastentiere nicht verzichten möchte, solle darauf bestehen, dass der Eseltreiber mehr als 16$ ausgehändigt bekommt, um die Tiere angemessen zu versorgen. Die Treiber nach dem Treck zu nochmals zu entlohnen bringt den Tier nichts, da sie für gewöhnlich volltrunken den Rückmarsch antreten und sich nicht mehr um die Tiere kümmern. Des weiteren empfiehlt es sich ein Lasttier pro Person dabei zu haben. Im übrigen tut man nicht schlecht daran, den Touranbieter danach zu fragen, wo die Eseltreiber untergebracht werden. Die meisten von ihnen schlafen nämlich ohne Schlafsack, mit einer Decke in Höhlen.

Freudsche Traumdeutung mit Ayahuasca – ein Selbstversuch

Sowohl in den Komunen der andinischen Campesinos, als auch in den Dörfern des Amazonasgebiet ist der Shamanaismus ein fester, wenn auch nicht offensichtlicher Bestandteil der Kultur. Der Shamane als zentrale Figur des Shamanismus ist Medizinmann, Priester und Naturkundler zugleich. Er heilt körperliche und geistige Leiden, vollführt verschiedene Rituale und Zeremonien, und verfügt über ein umfangreiches naturkundliches Wissen, sowie eine lange Erfahrung mit den ebengenannten Praktiken. Wenngleich mich nun Religion und Esotherik nicht sonderlich interessieren, wollte ich mich dieses Kultes, eines eigenen Urteils wegen, nicht verschliessen. Die Wahrscheinlichkeit einem Shamanen zu begegnen und diesen auch zu erkennen, ist nicht sonderlich groß, doch mit ein paar Beziehungen lässt sich so etwas erreichen. Romi, mein Dschungel-Guide, vermittelte mich an den Shamanen seines Dorfes mit der Bitte, mit mir die Ayahuasca-Zeremonie durchzuführen.Einer solchen Zeremonie geht eine ausführliche Vorbereitung ebenso vorraus, wie sich eine Nachbereitung anschließt. Die eigentliche Durchführung ist durch feste Abläufe bestimmt und baut grundsätzlich auf der Einnahme eines Gebräus verschiedener Pflanzen auf. In diesem Fall ist es die Ayahuasca-Liane (Banisteriopsis caapi) – sie enthält den MAO-Hemmer Harmin, welcher durch hinzufügen von Blättern des Chacruna-Strauchs (Psychotria viridis = DMT), länger wirkt. Die Zeremonie kann mehreren Zwecken dienen. Im wesentlichen geht es den Bewohnern von Puerto Miguel dabei jedoch um die Reinigung ihres Geistes in Hinblick auf die Bewältigung anstehender Aufgaben. Aber auch die Heilung von Krankheiten, den Kontakt zu Toten und Geistern und einen Blick in die Vergangenheit/Zunkunft. Verschiedene andere Beschwörungen sind wohl auch möglich. Ganz agnostisch, wollte ich dies gegenüber dem Shamanen weder verneinen, noch bejaaen, sondern einfach mal schauen, was passiert. Zu Anfang sollte ich ihm ein bisschen was über mich erzählen. Er erschien mir nicht sonderlich sympathisch, dafür jedoch etwas überheblich, und somit beließ ich es bei ein paar knappen Sätzen. Voller Überzeugung wollte er anschließend eine Diagnose meinerselbst abgeben, in dem er meinen Puls fühlte und meine Augen begutachtete. Nicht gerade zu meine Verblüffung, wiederholte er exakt das, was ich ihm kurz zuvor gesagt hatte; nämlich, dass ich mich in meiner Haut und mit meinem Geist gut fühle. Ich versuchte nun umgekehrt sein Befinden zu ermitteln und stieß auf gelblich-blasse Augen mit zahlreichen roten Flecken. Können sich Shamanen nicht selbst heilen, fragte ich mich.

Bereits am Vormittag sollte ich ihm beim Kochen des Trunks helfen. Die Lianenstücke zerdrückte ich mit einem Knüpel. Anschließend wurde alles für ca. 9 Stunden zusammen mit zwei Zigaretten über dem Feuer gekocht. Für den Rest des Tages wurde mir eine Diät verordnet, die mir lediglich den Genuß einer Gemüsesuppe erlaubte. Die Zeremonie begann bei Einbruch der vollständigen Dunkelheit. Der dafür vorgesehene Ort war eine außerhalb vom Ort gelegene Hütte. Außer einer Hängematte mit Moskitonetz gab es dort nichts. Möglichst relaxt und frei von jeglicher Aufregung sollte ich den Trip antreten. Er empfahl mir den wahrlich atemberaubenden Sonnenuntergang am Rio Maranion anzusehen und zu entspannen.

In der Zwischenzeit hatte sich eine Viper in die Feuergrube verirrt und in der Glut zu Tode verbissen. Der Shamane bedauerte dies sehr und konservierte sie in Alkohol. Das Ayahuasca-Süppchen füllten wir in zwei Flaschen und los ging’s: Im Dunklen saß ich auf dem Holzboden während er um mich tänzelte und immer wieder Tabakrauch herum fechelte. Durch seine Faust pustete er mir den vergleichsweise gut riechenden Qualm in meine gefalteten Hände, sowie auf den höchsten Punkt meines Kopfes. Schließlich füllte er den erkalteten Ayahuasca-Saft in eine hohle Holzkugel (Fruchtkapsel?), die ich in zwei Schlücken zu leeren hatte. Gesagt, getan. Nun sollte ich mir auch so einen Tobak anstecken und mit ihm dampfen. Pfui, die erste Zigarette in meinem Leben. Er pfiff und jodelt abermals sein Liedchen, während er, mit dem Blätter-Fecher raschelnd, um mich tänzelte. Mit geschlossenene Augen wartete ich darauf, das etwas passiert. So langsam sah ich ein paar düstre Bilder, aber nichts Spezielles. Drum nahm ich eine zweite Holzkugel mit Ayahuasca ein. Die düstren Bilder wechselten nun im Rhytmus seines Tanzes. Zunächst sah ich viele viele Augen. Tieraugen – von Krokodilen, Wildkatzen, Vögeln und Affen. Alles erschien wie ein Traum, den ich selbst zu kontrollieren vermochte. Die Augen waren mir nach einer Weile zu aufdringlich, statt dessen wollte ich Pflanzen und Bäume sehen. Und es kamen Bäume – vor allem solche, die ich tags zuvor im Wald gesehen hatten. Riesig groß und bildfüllend. Aus einem dieser Gehölze stach ein Affe aus dem Stamm hervor und verschwand wieder. Nun sah ich mich selbst – an einem Ast hängend. Ich schaukelte und schaukelte, bis mir scheinbar schwindlig wurde. Vieles begann sich zu drehen – vor allem drehte ich mich, d.h. ich sah, wie ich einen Salto nach dem Anderen machte. Hunderte Saltos, immer schneller und schnell, bis es mir abermals alles verwirbelte und neue dunkle Ornamente hervortraten. Irgendwann erblickte ich mich selbst aus der Nähe. Zumindest habe ich mich selbst erkannt, doch das Gesicht und der Körper entsprachen nicht der Realität und auch der Vergangenheit. Vielleicht ein Wunschbild, doch so unbedingt perfekt wirkte es nicht – eher älter. Es folgten wieder einige Saltos und ein Sprung in die Erde, zu den Wurzeln und schlußendlich auf zu einer erdigen Reise ans andere Ende der Welte, oder besser, nach Ulm ins Schlafzimmer meiner Freundin, wo ich unter der Bettdecke auftauchte und zugleich das Geschehen von oben überblickte. Ich versuchte mich auf anstehende Aufgaben zu konzentrieren und wandte meine Gedanken den bevorstehenden Prüfung bzw. meiner Diplomarbeit zu, was auch ohne weiteres möglich wurde. Ebenso war ich im Stande, mir die Eulerformel vorzustellen und herzuleiten, was mich sehr erstaunte (diese Aufgabe hatte ich mir vorab gestellt). Außerdem funktionierte mein Gedächtnis ausgezeichnet und vor allem bilderhaft. Sobald ich meine Augen öffnete, war alles wieder normal. Ayahuasca wirkte also traumbildend und bescherrte mir nur eine verzerrte Mischung dessen, was ich in den letzten Tagen erlebt, in Gedanken gehegt und mir mehr oder wenig bewusst gewünscht habe. Es braucht meines Erachtens nicht viel Wissen um Siegmund Freud’s Theorien der Traumdeutung, um (m)eine Ayahuasca-Vision zu deuten. Auch im Traum kann man logisch Denken, verborgene Wünsche entdecken und Wege verfolgen, die tags nicht gangbar waren (infantile Träume). Allerdings hatte ich nie zuvor erlebt, mich selbst in einem Traum zu sehen. Es war also eine außerkörperliche Erfahrung, wenn man so will. Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Holzkugel – diesmal mit dem durchsichtigen Elixier gefüllt – und verspürte sofort den längst überfälligen Brechreiz. Es ist normal, dass man sich nach der Einnahme von Ayahuasca übergibt und seine Gemüsesuppe aus sich herauskotzt. Das Gefühl ist nicht gerade prickelnd, doch mir stieß es nach erneuter, visionsfreier Verabreichung der Tinktur, noch ein weiteres Mal bitter auf. Ehrlichgesagt konnte ich mir auch kaum vorstellen, wie ich eine Tinktur aus gelösten Nikotin anders überleben sollte. Nach insgesamt zwei bis drei Stunden Shamanentanz und Traumreise schlummerte ich etwas unruhig in meiner Hängematte bis der Tag erwachte. Etwas benommen und fast wie besoffen taumelte ich durchs Dorf. Um etwas normales Essen zu können, musste ich meine Diät vorzeitig beenden und einen ganzes 0,2L Glas Zuckerrohrschnaps trinken. Das hat nochmal reingehauen. Den Rest des Tages verbrachte ich im Beisein, um nicht zu sagen unter Aufsicht, des Shamanens. Wir gingen fischen und auf’s Dorffest, aber dazu später mehr.

Beim Piranha-Angeln

Viele Straßen führen nach Rom, doch keine nach Iquitos

Stimmt nicht, müßte ich der Richtigkeit halber sagen, denn es gibt eine Straße von Nauta nach Iquitos, doch Nauta ist seinerseits isoliert. Die Orte sind also nur auf dem Luft- oder Wasserweg erreichbar. Der letztere führte mich also dorthin. Durch’s Couchsurfing gelangte ich an Antonio, der seit wenigen Monaten die Produktionen im neuen Fernsehsender Chanal 49 leitet. Für seine zwei kleinen Kinder und seine Frau bleibt ihm deshalb nicht viel Zeit. In einem kleinem Häuschen im Stadtteil San Juan hat er sie untergebracht und mit zwei (nicht gerade fließigen) Haushälterin versorgt. Er gibt mir, ganz großzügig, ein eigenes Zimmer und lädt mich zum Abendessen an seinen Tisch. Wir plaudern über deutsche Fremdenfeindlichkeit und peruanischen Rassismus. Viele Altnazis hätten sich hier in einem der entlegenen Urwalddörfer eine Existenz aufgebaut. Sogar Adolf Hitler, so der Volksmund, wäre hier als Führer eines gänzlich unarischen Stammes alt geworden. Auch ein ehemaliger Bankdirektor in Iquitos hätte sich im Krieg den Deutschen verdient gemacht. Nach so viel Spekulation kamen wir glücklicherweise auf die vor uns stehende Chaufa de Pollo (Hünchen mit gebratenem Reis) zurück. Antonio liebt Filme, doch keine perunanischen. Die seien schlecht. Drum schauten wir uns nach dem Essen auch einen us-amerikaischen Streifen an. Auch sein Programm bei Chanal 49 führte er mir vor – leider war der Empfang mit der Antenne leicht vergrieselt.

Motos und alte Busse ohne Fenster, weils ja so warm ist.

Eine Schildkröte ohne Panzer.

Vormittags wollte ich mich mit Nadine treffen und die Internetseite einer mit ihr befreundeten Heilpraktikerin fixen. Mit falschen Zugangsdaten scheiterte diese Unternehmung bevor sie beginnen konnte. Nadine lebte schon eine ganze Weile in der Stadt der Mototaxis und wollte mich auf den Markt von Belen begleiten. Irgendwann kamen wir auf’s Spanisch-Lernen zu sprechen und stellten mit Verwunderung fest, dass wir die selbe Schule in Cusco besucht und uns um genau einen Tag verpasst hatten. Nun wurde mir klar, dass ich Nadine bereits aus den Erzählungen meiner Mitschüler kannte. So klein ist Peru.

 

Medizinalpflanzen, Pulverchen und andere Extrakte aus dem Urwald.

 

Der Markt von Belen ist groß und schmutzig. Belen ist eigentlich ein Dorf aus Pfahlbauten. Die Holzhäuser mit Dächern aus Palmenwedeln sind während der Regenzeit bzw. des Hochwassers nur per Boot erreichbar. Belen entstand als eine Siedlung von Indianern, die sich am Rande der reichen Kautschukstadt niederliessen, doch niemals ein Teil von ihr wurden.

Auf mich wirkte es abscheulich und bitterarm. In den vergangenen fünf Monaten hatte ich nichts vergleichbares gesehen. Unter den tiefen und schattenspendenden Dächern der Stände konnte man praktisch nachvollziehen, wie aus einem Ei im Laufe der Zeit ein Brathähnchen werden kann. Paletten von Hühnereiern, daneben eine Kückenaufzucht und überall mal ein Huhn, was im Müll herumpickt. Man beobachtet Frauen, die Hühner rupfen, ausnehmen und zerteilen.

Die Abfälle landen auf der Strasse, so dass sich Hunde und Geier nur so darauf stürzen. Die Stände, an denen Frauen verschiedenste Gerichte kochen, braten oder grillen sind so zahlreich, dass sie es trotzdem nicht schaffen, den Geruch von Fisch und Trockefleisch zu übertünchen. Mittendrin, statt nur dabei, sieht man verwahrloste Kinder, die barfuss durch den Biomüll laufen, und Babys, die sich schier unscheinbar, in ein Tuch gehüllt, an den Körper ihrer Mutter schmiegen. Gern werden sie vorgezeigt – mehr aus Kalkül, den ein oder anderen Sol vom Touristen zu erhalten, als aus Freude und Glückseligkeit über den eigenen Nachwuchs. Wenn auch nicht so nachdrücklich, wie am Titikakasee, so verstehen es die Kinder von Belen auch, ihre Armseligkeit wie ein Anti-Modell zur Schau zu stellen.

Die Zeit in Peru hat mich diesbezüglich gelehrt, eine aufmerksame und pragmatische Ignoranz an den Tag zu legen, die ohnehin der gelebten Doppelmoral eines nicht ungebildeten Westeuropäers entsprechen müsste. Mitleid ist das eine, das Festhalten am eigenen Lebenswandel das andere. Ich will damit nicht sagen, dass ich keinerlei persönliche Konsequenzen aus solcherlei Erfahrungen ziehe, doch schlußendlich diskutiert man lieber bei einem Bier mit Freunden über solcherlei Dinge, anstatt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.

Angesichts der Hitze verbrachten wir den Rest des Nachmittages also mit einem kühlen Bier an der Uferpromenade. Immer wieder mal tauchten ein paar Straßenkinder mit der mehr oder weniger freundlichen Bitte nach Geld auf. Ihr kreativer Geschäftssinn ist beeindruckend und bemitleidenswert zu gleich. Sitzbänke der Motorräder bedecken sie als Schutz vor Sonne und Regen mit Pappe. Autos werden ohne Auffordung und Sichtung des Besitzers poliert. Bonbons aus Tüten werden einzeln verkauft und so weiter …

In Iquitos sind mir auffällig viele prollige Individualreisende, um nicht zu sagen Sextouristen, aufgefallen. Das die Stadt, wie jede andere in Peru, ein erhebliches Problem mit Kinderprostitution zu haben scheint, wird erfreulicherweise öffentlich angeprangert und bekämpft.