Nackt unter Piranhas

Bereits vor dem Tag beim Shamanen weilte ich drei Tage und Nächte im Urwalddorf Puerto Miguel. Die Nacht zuvor hatte ich in einer Disco in Iquitos durchtanzt und entsprechend schläfrig verbrachte ich die vierstündige Bootsfahrt nach Puerto Miguel. Romi – mein Dschungel-Guide – hieß mich mit seiner Freundin und seinem Sohn Romi Junior willkommen.

Romi Junior und sein Vater am Ruder des Bootes

Wir schleppten eine Menge Kisten quer durchs Dorf zu einem anderen Flussarm, auf dem wir ins Camp gelangen sollten. Es war so heiß und schwül, dass ich einem Bad im dunkelbraunen Fluß nicht wiederstehen konnte. Eine halbe heiße Stunde später erreichten wir das relaxte Camp. Drei große Pfahlbauten, von denen nur einem die Moskitohülle fehlte, waren fortan unser Heim. Inzwischen hatten sich noch andere Familienangehörige von Romi’s Freundin eingefunden. Sie kochten und wuschen ihre Sachen. Ich war der einzige Tourist im geräumigen Aufenthalts-, Ess- und Schlafhaus mit den Hängematten. Überflüssigerweise wollte man mir drei Malzeiten täglich servieren, die mich angesichts der Wärme noch mehr gelähmt hätten. Ein wenig Obst reicht vollkommen aus, sagte ich. In der angenehmen Nachmittagssonne unternahmen wir eine erste Wanderung in den umgebenden Wald, weitere Touren sollten folgen. Wenngleich ich nicht vermag, dieses Dickicht mit Worten zu beschreiben, sei nur so viel gesagt, dass mich ein ähnliches Gefühl überkam, als wenn ich in heimischen (wenig berührten) Wäldern unterwegs bin. Romi zeigte mir eine Reihe von Pflanzen und Tierchen:

Ein Baum namens Ficus, dessen Stamm sich drei Meter über dem Boden aus einer Vielzahl von Arcadenbögen zu einem Geflecht vereinigt. Victoria Rechia – die Pflanze mit den größten Blättern. Riesige Isula-Ameisen, derer sieben Bisse das Herz eines Menschen zum Stillstand bringen. Fast allgegenwärtig, die Möbelpacker unter den Ameisen, die im Verhältnis zu ihrer eigenen Körperabmessungen doppelt so große Blätter wie Sonnensegel transportieren. Interessanterweise sehen einige dieser Ameisenvölker eine Schlange als ihre Königing an und versorgen diese mit Nahrung. Auf einer Ameisenstraße zählte ich einmal sieben verschiedenen Arten, die sich ähnlich wie im peruanischen Straßenverkehr, schier ohne Ordnung und dennoch fliessend in beiderlei Richtungen fortbewegten. In den Früchten der hölzernen (geschlossenen!) Chapacha-Frucht fand ich jene Maden wieder, die ich tags zuvor auf dem Markt in Iquitos vom Grillspieß gegessen hatte. Sie eignen sich abgesehen davon ausgezeichnet als Köder beim Angeln, meinte Romi. An einigen Lianen konnten man sich als Tarzan versuchen, an anderen seine Wasserflasche auffüllen ohne chemische Reinigungsmittel bemischen zu müssen. Dann waren da noch Affen, die man mit etwas Übung in der Ferne erblicken und hören konnte:

  • Schwarze Kapuziner Affen (cebus capuchino nigritus)
  • Braune Kapuziner Affen (cebus capuchino olivaceus)
  • Ein einzelgängerischer (ramura) Kapuziner Affe (cebus capuchino ramura)
  • Rückenstreifen-Kapuziner (cebus libidinosus)
  • Totenkopfäffchen (mono titi), die Menschen auf 100m gegen den Wind riechen und hören

Natürlich sahen wir auch eine Menge Vögel, wie zum Beispiel den Martin Pescador (Amazonasfischer), den sogenannten Prehistorico (ein, dem Urvogel ähnliches Federvieh), nach Termiten suchende Spechte und einen hellbraunen Falken namens Oportunista, der anderen Vögeln den Fisch aus dem Schnabel klaut. Abgesehen von den Schwärmen der possierlich grünen Loros, sah ich leider keine weiteren Papageien.Wie schon mit dem Shamanen, ging ich auch mit Romi ein weiteres mal zum Fischen. Wenngleich mir zahlreiche Fische am Haken hängen blieben, so waren sie doch nicht sonderlich groß. Zwei Cichla (Tucunari), ein kleiner Foxfish, sowie weisse, graue und rosa Piranha, die übrigens nicht besonders delikat schmecken, landeten später in der Pfanne.

Cichla, ein grauer, ein rosa und ein weißer Piranha

Während der Regenzeit, wenn die Piranhas ihre Eier in sich tragen, reicht es die Hand knapp über die Wasseroberfläche zu halten, um gebissen zu werden. Derzeit sei es ungefährlich, versichert mir Romi, doch unlängst knusperten die Piranhas hier einem Argentinier die Brustwarze ab. Prima dachte ich und beschloss fortan das Bad und die damit verbundene Körperreinigung im Fluss zu unterlassen. In den vergangen Tagen hatte ich mich schon gewundert, was mich beim Delphin-Schwimmen immer an den Füßen berührt. Dabei ist Bewegung im Wasser die beste Möglichkeit Piranhas anzulocken – nicht nur beim Angeln.

Ursprünglich waren die Bauten rund, doch die Spanier inspierierten die Indios zur Rechteckbauweise.

In ganz Peru feierte man die Woche des Waldes (Semana Bosque) und kürte deswegen auch eine Miss Bosque, als quasi eine Schönheitskönigin oder Primavera (je Altersklasse), wie man hier sagt. Bereits in Iquitos bediente mich eine der dortigen Primaveras in einem Pizzarestaurant (ich mag kein peruanisches Essen mehr), eines Küsschens wegen. Die Dorfgemeinschaft von Puerto Miguel wollte an diesem Abend ihre Primavera präsentieren und gebührend feiern. Ganz selbstverständlich sollte ich daran teilhaben und zudem als erster mit ihr tanzen. Oh Jott, welch grausiges Gringo-Privileg für einen, dem die hiesigen Tanzrhythmen immer noch fremd sind. Fast das ganze Dorf hatte sich unter dem Dach der (Freiluft-)Schule versammelt. Die Leute hier sind es eigentlich gewohnt, aus Mangel an elektrischem Licht, gegen sieben Uhr abends schlafen zu gehen, deshalb verwunderte es nicht, dass die meisten Kinder und einige Erwachsene während des Show-Programms auf den Schulbänken einschliefen. Der Dialekt der des Show-Masters und die maßlos übersteuerte PA machten es mir unmöglich auch nur ein Wort zu verstehen.

Die Dorfband, derzeit noch ohne echte Instrumente, spielte modernen LatinoPop.

Traditionelle Musik hören die Leute lediglich zu den Feierlichkeiten anlässlich des Dorfjubileums. Nachdem eine amüsante Karaoke-Band auf ihren Instrumentimitationen in die Tasten und Saiten gehauen hatte, besuchte ich die einzigen beiden Dorfkneipen – gleich auf der anderen Seite der Schlammpfütze auf dem Dorfplatz. Die Leute dort schauten Fussball und lauschten der Musik einer coolen lokalen Band namens Solido 2000 de Tarapoto. Ein Bier kühlte meinen Kopf von innen. Schließlich kam die Dorfdisco in die Gänge und ich erfüllte meine Pflicht gegenüber der doch ganz sympathischen Miss Primavera. Vielleicht schafft sie es ja zur Miss Peru. Es war üblich nach jedem Lied den Tanzpartner zu wechseln; und so tat ich es. Die Rhythmen waren dann doch nicht so schlecht, oder sollte das an der Rum-Cola-Mischung gelegen haben, die man mir fortlaufend ins Glas füllte? Diese bewegende Partynacht schien sich bis in die Morgenstunden zu erstrecken. Klein Romi, er war gerade mal drei Jahre alt. Sprang auch noch rum. Ich zeigte ihm, wie er die Thron-Stühle der Primaveras ihrem Ursprünglichen Zweck zuführen konnte. Es waren Cajons, also jene Holzkisten mit Loch, die im Stande sind ein ganzes Schlagzeug zu ersetzen. Binnen weniger Minuten kann man lernen, auf einem Cajon zu spielen. Auch Romi Junior hat das sofort hinbekommen. Die Nacht verbrachte ich abermals in der entlegenen Hütte des Shamanens, der bis fünf Uhr, immer noch stark trunken, das Tanzbein schwang.


Traditionell ernärten sich die Menschen hier von Yuca, Bananen, Fisch und verschiedenen Früchten. Seit nun mehr als 30-60 Jahren hat der Reis die Yuca und (Koch-)Bananen weitestgehend verdrängt. Als Konsequenz dessen mussten Urwaldflächen abgeholzt werden, um Reis anzubauen. Reis mit dem Schiff nach Puerto Miguel bzw. Iquitos zu transportieren verteuert den Preis pro Sack um 20 Soles – zu viel für die Menschen in den Dörfern.

Der Wind trennt die Schalen vom Reiskorn. Vorher hat er den Reis gestampft.

Not macht erfinderisch und eine aufgeblasene Plastiktüte zum Volleyball. In der Regel ist es der Sport der Mädchen, Jungen bevorzugen Fußball.

Alles in allem war ich froh in mal eine Zeit in einem solchen Dorf gelebt zu haben. Es war von vornherei nicht mein Ziel einen möglichst ursprünglich lebenden Indianerstamm aufzusuchen, da sich diese ohnehin in unzugängliches Terrain zurrückgezogen haben und zweitens durch meinen Einfluss nicht so werden müssen, wie wir schon sind. Werner Herzogs Kurzfilmbeitrag in Ten Minutes Older: “The Trumpet” beschrreibt die Problematik etwas besser.

El Gran Vilaja

Mittlerweile in Chochapoyas angekommen, entschloss ich mich gegen die Weiterreise nach ans Meer (Piura, Mancora) und für eine dreitägige Treckingtour in der Gran Vilaja Region. Sven wollte mitkommen, denn seine Frau Mindi wollte nach dem Unfall-Schock und den Strapazen der letzten Tage etwas ausspannen. Für 360 Soles (84 Euro) bekamen wir innerhalb von 10 Stunden, also praktisch übernacht, unseren eignen Guide. Deutsche brauchen normalerweise keinen Führer, doch ohne genaues Kartenmaterial, auf dem alle Wegelchen verzeichnet sind, lässt es sich nunmal nicht wandern. Nun gut, CESAR* sollte uns führen! Er war in der Region aufgewachsen, kannte die Situation der Menschen und den Hochlandjungel. Mit dem Taxi fuhren wir zunächst nach Pirquilla, um uns die vier Sarkopharge in den Felswänden anzusehen, und danach ins Valle Huaylle Belen. Der Rio Belen schlängelte sich in perfekten Meandern durch stoppelige Wiesen. Kühe und Pferde standen vereinzelt auf den weiträumigen Grünflächen. Die Ruhe und Windstille war einzigartig. Die Straßen im Nebelwald zogen sich wie Narben durch die Landschaft, aus denen gelbe Erde blutete. Auf einigen Hügeln wucherten lediglich Farne und wenige Sträucher und auch der sonstige Wald war recht jung. Insbesondere die Farne sind es, die durch ihren schnellen und dichten Wuchs andere Pflanzen hindern empor zu kommen (Anmerkung von Steffen K.). Man kann sie deshalb durchaus als Plage ansehen. Alte und starke Bäume waren nicht zu sehen. Ganz offensichtlich war die (Brand-)Rhodung zu gunsten der Land- und Viehwirtschaft längst Normalität.


Huaylle Belen

Auf einer alten Chochapoya-Straße wanderten wir durch Nebel und Wald nach Congon. Entlang des Weges säumten sich die Ruinen und Mauern von Pirquilla.

Pirquilla – kaum zu glauben, dass sich in unmittelbarer Nähe über tausend solcher Rundbauten befinden.

Congon selber ist zwar ein Dorf, doch liegen die Häuser sehr verstreut im Flusstal. Elektrischen Strom gibt es seit einem Jahr. Seit kurzen gibt es auch einen Fernseher im Dorf. Die Leute treffen sich da öfters, um ein bisschen in die Welt zu schauen. Funkmasten fürs Handy oder Telefonkabel gibt jedoch noch keine. Ein Satelitentelefon muss reichen.

Circa acht Stunden Fussmarsch von Congon entfern, am Rio Miriñon, befinden sich grosse Coca-Plantagen. Ein lokaler Drogenbaron hat dort ein ganzes Dorf unterworfen und zur Zwangsarbeit in den Plantagen und zum Stampfen der Blaetter verpflichtet. Sein Terretorium regiert er durch die Gewalt von min. 80 Paramilitärs. Wer nicht folgt wird erschossen. Cesars Vater arbeitete bis vor kurzen noch als Lehrer in dem Dorf. Touristen sind dort natürlich nicht willkommen.

In Congon ist die Welt diesbezüglich noch in Ordnung. In einem länglichen Bauernhaus mit langer Veranda erhalten wir Kost und Logie. Unser Zimmer muffelt kräftig nach Pferd, doch wenn ein Lüftchen durchzieht, merkt man das gar nicht. Hinsichtlich der Hygiene drückten wir einige Augen zu, wenn Hühner und Hunde durch die Küche schlichen oder die freilaufende Meerschweinchenkolonie unter dem Herd mit herabfallenden Kartoffelschalen gefüttert wurde. Die Hunde waren lieb und stets hungrig. Der kleinste von den Dreien fraß sogar Insekten; am liebsten die großen Nachfalter. Fleisch gab’s natürlich keins für die Tiere. Auch für uns gabs einfache Kost, die teilweise etwas gewöhnungsbedürftig war (stinkendes Trockenfleisch). Absolut lecker hingegen: der selbst angebaute Kaffee!

Am zweiten Tag wanderten wir zusammen mit dem Hausherren und einem Jungen aus dem Dorf zu den Sarkopharge Curra Secreto. Diese waren mitten im Jungel an einer Felswand. Ein Schullehrer hatte vor 15 Jahren mit seine Klasse die Mumien zerstört und geplündert, so dass heut nur noch die Knochenhaufen und ein paar Stoff- und Seilreste rumliegen. Man kann also einen anatomischen Exkurs veranstalten und ein menschliches Skelet zusammensetzen. Archäologen scheinen von dem Chochapoya-Friedhof in den Felse von Concon zu wissen, hielten es bislang jedoch nicht für nötig die Funde zu sichern. Peru hat so viele archäologische Schätze, dass sie derzeit mit den zur Verfügung stehenden (finanziellen) Mitteln nicht gesichert werden können. Seit vier Jahren spielen nun schon Touristen wie wir mit den Knochen und stören die Ruhe der Toten. Zwei Mumien sind noch vollständig erhalten, da sie sich in schier unerreichbarer Höhe im Felsen befinden.

Als nächstes kämpfte wir uns mit der Machete zu einem Wasserfall durch. Dahin führte kein Weg und alles war dicht zugewachsen. Richtiger Urwald eben. Sogar große, alte Bäume standen gab es. Der Wasserfall war jedoch nicht mehr als ein Wasserfall. Ok, 50-70 Meter hoch. Oben drüber sollte es noch einen geben. Wir machten uns auf, ihn zu suchen. Unsere Guids kannten ihn (angeblich?) auch noch nicht. Der Aufstieg war nicht einfach, doch lohnenswert. Der Wasserfal war noch größer. Später sahen wir, dass oben drüber noch weitere Wasserfälle seien müssten. Wesentlich spektakulärer sind jene Wasserfälle jedoch während der Regenzeit. Dieser Tage träufelt vergleichsweise wenig Wasser hinunter. In diesem Zusammenhang möcht eich noch anmerken, dass es anscheinend noch einige “unbekannte” Wasserfälle gibt. Vor wenigen Jahren entdeckte ein Deutscher ganz in der Nähe den weltweit dritthöchsten Wasserfall. Den Einheimischen war selbiger natürlich schon ewig bekannt, nur haben sie sich nichts daraus gemacht.

Für den letzten Tag stand ein harter Fussmarsch nach … an. Recht spät, nämlich gegen 6:30, liefen wir schnellen Schrittes los. Vielleicht etwas zu schnell, denn als sich nach 3 Stunden die ersten Berge vor uns stellten, fehlte mir plötzlich die Kraft zum Weitergehen. Wahrscheinlich hatte ich bis dahin das (magere) Frühstück verbrannt und meinen Koerper an die schnelle Zuckerzufuhr (Weizenmehl) gewöhnt. Ich musste zehn Minuten schlafen und eine Unmenge Bonbons essen, bevor ich wieder in Schwung kam. Auf halben Wege, nahe den Ruinen von Lauche, tauschte zum Glück ein Gasthaus auf. Nach zwei Supen und ein paar Schockoriegeln war meine Energiekriese endgültig ueberstanden. Trotzdem hatten wir kaum Gelegenheit die Landschaft in vollen Zügen zu geniesen, da wir bis 15 Uhr in … seinen mussten, um einen Minibus nach Chochapyas zu erwischen. Die Wanderung entwickelte sich zum Gewaltmarsch. Mir verging die Lust am Fotografieren, da wir nicht mal beim Erreichen der Passhoehe eine Pause einlegten und statt dessen in 30 Minuten 650 Hoehenmeter ins Tal ranten. Nicht etwa, dass mir dieser Downhill auf den sandigen Weg keinen Spass gemacht hätte, aber mit Wandern hatte es nichts mehr zu tun.


* Cesar Espeso Chavaz, cesarech27-4[at]hotmail.com

El viaje en el camiñon

Ein Mann veriet mir, dass ich auf dem Markt einen Kartoffellaster finden würde, der auf direktem Wege nach Leymebamba fährt. Eigentlich hoffte ich ja auf eine Busverbindung, doch eine solche gibt es nur sonntags und dienstags. Blöd, dass heute Monatg ist und auf dem Markt kein Laster weit und breit verkehrt. Am Rondell sollte, wie jeden Morgen, irgendwann ein LKW abfahren. Ich meine jene LKWs, die ausschliesslich Personen und deren Waren transportieren – sie verkehren sogar in den Randbezirken Limas. Ich saß nun mit Sack und Pack am Kreisverkehr und wartete auf meinen Laster. Eine gute halbe Stunde später rollte ein 7,5-Tonner an. Zugleich sicherte ich mir den besten Platz auf dem Führerhaus. Während der LKW noch drei Runden durch die Stadt drehte, um Leute einzusammeln, versuchte ich es mir auf meinem Schlafsack bequem zu machen. Und es dauerte nicht lang, da saß die kleine Isabela neben mir. Mit grossen Augen und etwas schüchtern starrte sie mich an. Mein Bart musste wohl sehr eigenartig auf sie gewirkt haben.

Auf der Ladefläche standen nun dicht geträngt 30 Leute. Ein dudelndes Kofferadio rauschte im Duett mit dem rörigen Dieselmoter. Der Wagen schaukelt und wippt auf den schlechten Bergpisten. Drum herum staubt es. Äste und Zweige peitschen an mir vorbei. Isabela lächelt. Wir unterhalten uns ein bisschen, bis ein Junge hinaufsteigt und ihr stolz wie ein Macho von seinen Kühen und Pferden erzählt. An einer Weggabelung halten wir in einem ‘Restaurant’. Ich schau gar nicht erst, was es zu essen gibt und schlafe statt dessen bis mich die Kinder wecken um mir Tiere (Loros, Affen, Condores) und Pflanzen zu zeigen.

Natürlich denken sie, wie alle auf dem LKW, ich sei ein us-amerikanischer Gringo. Als ich ihnen sage, dass ‘Camiñon’ im Amerikanischen ‘Truck’ heisst, freuen sie sich riesig und wiederholen das Wort immer und immer wieder. Am Ende der Fahrt wissen sie, wie man bis 40 zählt und sich vorstellt. Bei der zweiten Reifenpanne geht Isabela mit ihrer Mutter in ihr Dorf; nahe Balsas. Ihr Lächeln schwindet, kurze Zeit später ist sie mit einem grossen Beutel auf dem Rücken im dichten Urwaldgrün des Rio-Mariñon verschwunden. Auf dem LKW sitzen scheinbar nur noch Leute aus ein und demselben Dorf. Ein Grauhaar mit goldener Armbanduhr konfrontiert mich aus dem Nichts mit europäischer Wirtschaftspolitik und den Folgen von Globalisierung. Ich kann ihm kaum folgen und noch weniger argumentieren. Er ist gebildet und möchte, dass ich ihm zustimme. Hundert Kurven weiter erscheint endlich das ersehnte Dorf meiner Mitreisenden. Mit einem lautstarken ‘Ciao Gringo’ verabschieden sie sich im Chor. Ziemlich genau zum Sonnenuntergang erreichen wir Barro Negro – den Pass auf 3800m Höhe. Von nun an wird es kalt und dunkel. Die beiden Kinder des Lastwagenfahrers schlafen und spielen auf der Ladefläche mit ihrem kleinen Hund. Dem armen Tier kam die Natur und bescherrte mir eine Pfütze um die Schuhsohlen. Gegen 9 Uhr abends erreichen wir nach 11-Stündiger Fahrt Leymembamba.

Salkantay Treck

Mama2 hat mir gerada Apfelmus mit Roter Beete und einer Art cordon bleu samt Spinat serviert. Und ich dachte schon meine Art zu kochen sei experimentell. Na gut, alles für sich hat geschmeckt und ich nehm’ mit was geht. So wollte ich mir es auch nicht nehmen lassen zu Fuss nach Machupicchu zu gehen. Die Inka wählten bei ihrer Flucht vor den Spaniern diesen, nach ihnen benannten ‘Trail’ aus. Heute wird dieser Fluchtweg als besonders schön gepriesen, und eine jede der 500 Lizenzen den Pfad zu beschreiten teuer verkauft. Doch viele Wege führen nicht nur nach Rom und so gibt es bestimt ein Dutzend Wegelchen, die man zu Fuß, per Rad und im Rafting-Boat nach Machupicchu einschlagen kann. Auf Anraten von Claudia – meiner Gastschwester – entschied ich mich zusammen mit Pia für die Salkantay-Tour. Pia war vier Tage nach dem urumbambastialen Hühnerfraß immer noch nicht fit und auch mir hatte sich zwei Tage vor Antritt des Marsches nach maßlosem dinieren noch einmal der Magen umgedreht. Es erschien mir als eine Lehre, doch für Pia tat’s mir abermals Leid. Nun saß ich, an meinen Rucksack gekuschelt, im arschkalten Bus nach Mollepata. Nach und nach schleppten die einzelnen Agenturen ihre angeworbenen Teilnehmer herzu. Darunter viele Paare und natürlich unsere Guides, Köche und Pferdeführer (zusammen 6 für 15 Wanderer). Als mir früher Verwandte von ihrer Wanderung auf den Kili erzählten, wie sie mit Trägern und Köchen den Berge erklommen, erschien mir das als halbe Leistung und herrlich im Sinne des Wortes. Nun sollte ich das Dilemma verstehen, was einem untrainierten, aber dennoch wanderfreudigen Touristen widerfährt, wenn er mangels Zeit und Angebot gar nichts anderes über sich ergehen lassen kann. Zunächst behielt ich meine sieben Sachen im Rucksack und ertrug selbigen auf sonntäglich leichten Wegen, hinauf auf 2900m. Zwischendrin gab’s ein einfaches Frühstück und ein ebenso simples, wenn auch dreigängiges Mittagessen nahe Cruzpata. Der Himmel war grau und wolkenverhangen, alles wirkte nicht gerade fotogen oder malerisch. Der Weg windete sich in seiner leichten Steigung schier unendlich oft. Die landschaftlichen Langeweile bot somit ausreichend Gelegenheit, die Leute in der Gruppe etwas kennenzulernen. Darunter einige Kurzurlauber (< 3 Wochen) aus den Staaten, Kanada und Deutschland; ein Paar aus England, welches sich nach einjähriger Reise beruflich völlig neu orientieren wollte; ein kalifornischer Voluntär und ein interessanter Soziologieprofessor aus Sofia, der sich von einer Konferenz aus Buenos Aires abgeseilt hatte. Alle samt sympathisch. Es wurde langsam dunkel und vor uns bauten sich massive Gletscher auf. In der auf 2900m gelegenen (Soray)Pampa schlug man unsere Zelte auf. Zugleich belohnten wir uns mit einer Flasche Cusquena-Bier und warteten im zugigen Essenszelt den Beginn des Abendmals ab. Spätestens nach dem Briefing um 20 Uhr wollte ich schlafen, denn schließlich hatte ich die letzte Nacht schon fast durchgemacht. Mein Schlafsack erwies sich jedoch als viel zu warm.

Der nächste Morgen ließ auf viel Sonne hoffen und so liefen wir ihr noch vor ihrem Erscheinen entgegen. Ein Adler beobachtete, wie wir uns schweren Schrittes die Serpentinen hinauf bewegten. Vorbei an einem Bergsee erreichten wir noch vor dem Mittag den Pass am Berge Salkantay.

Bergsee, kurz vor dem Pass.

Pass auf 4600m Höhe.

Der Berg Saikantay.4600 Meter über’m Meer war die Luft derart ausgedünnt, dass ich bei einem Nickerchen im sonnigen Windschatten mehrmals aus atemnot aufwachte. Ich hatte offenbar nicht tief genug ein- und ausgeatmet und glaubte fast zu ersticken. Nach zwei Stunden waren dann auch die letzten unserer Gruppe eingetrudelt und nach kurzem Verschnaufen gings bergab nach Huayracmachay zum Mittagessen am Bach. Umzingelt von Schweinen, Hunden und Pferden kochten unsere Köche ein Schmackofatz. Viel Zeit zum Verdauen sollte uns nicht bleiben, denn in drei Stunden wurd’s dunkel.

Etwas Jungel.Endspurt war angesagt. Bergab – zum Glück. Auf einem schmalen Trampelpfad wanderten wir zügigen Schrittes aus der bergigen Landschaft in zunehmens grünere Gefilde – auch Jungel genannt. Einzig die vielen Mulis und Pferde bremsten unser Vorankommen. Vorbeikommen war schwierig, wenn man Respekt vor Huftritten hatte und den Besitzer nicht  zu überzeugen wußte. In einem Tal (Challway) glänzten unsere Zelte im Abendlicht. Diesmal gab’s sogar fließend Wasser aus Rohren und ein duftes französisches Plumsklo. Kühles Bier war uns jedoch zunächst wichtiger. Am dritten Tag blieben uns die schmalen Pfade samt Packtieren erhalten, wenngleich die Vegetation um so blütenreicher und dichter wurde. Ein gutes dutzend Bäche und Wasserfälle galt es auf Steinen oder Holzstegen zu überqueren. Das Geröll auf dem Weg glitzerte zunehmens – es war Silber, wie unser Guide versicherte. Die Anwohner schöpften ihren Lebensunterhalt jedoch aus dem Verkauf von Getränken, Schockoriegeln und Früchten. Die angebotenen Bergtomaten, Grenadillas, Bananen, Avocados und Papayas wuchsen gleichsam am Wegesrand. In Lluscamayu nahmen wir zusammen mit gut hundert Tourismusstudenten (die kein Wort Englisch sprachen!!) unsere mittägliche Malzeit ein. Anschließend fuhren wir mit einem geborgten Van zu einem Termalbad. Während der Fahrt wechselte der Fahrer mehrmals mit einer entgegenkommenden Person. Der letzte Austauschfahrer hatte vor einer Kurve vergessen zu hupen und deshalb fast einen Motorradfahrer aufgegabelt. Naja, wir gammelten nun den Rest des Tages in lauwarmen Wasserbecken, die zum Schwimmen zu warm und zum Erholen zu kalt waren. Bier entpuppte sich als die eindeuitig besser temperierte Flüssigkeit – ebenso am Abend im nahegelgenen Zeltlager in Santa Teresa. Mit Ruman, dem bereits erwähnte Professor aus Sofia, habe ich mich gut und lang über sein Forschungsgebiet – die Ausbildung von Lehrern – unterhalten.

Unser Zeltlager in Santa Teresa. Der folgende Tag war etwas unzureichend organisiert – zumindest war lediglich eine zweistündige Wanderung nach Hidro Electrica angesetzt. Mit zügigem Schritt gingen wir durch ein wüstenähnliches Tal. Die Sonne brannte heiß und einigen überkam ein Sonnenbrand. Nur wenige Oasen boten schatten und eine wahre Pflanzenbracht. Als beeindruckend empfand ich einen Wasserfall, der dem schwäbischen Blautopf gleich, bei einem Durchmesser von 15 Metern so viel Wasser aus der Felswand hinausdrückte, das ein ganzer Fluss hätte entstehen können.

“Bahnhof” in Hydra Electra.In Hidro Electrica erwatete uns nicht mehr als ein Wasserkraftwerk und der Anfang jener, über Machupicchu/Aguas Calientes nach Cusco führenden Bahnstrecke. In einem Abstand zu den Schienen standen Holzbuden, in denen so manches verkauft wurde. Unweit davon aßen wir zu Mittag. Außer Ruman und mir schien allen die Sonne zu sehr auf’s Gemüt, weshalb sie es vorzogen mit dem Bummelzug nach Aguas Calientes zu fahren, anstatt auf den malerisch schattigen Eisenbahngleisen zum Fuße des Machupicchu zu wandeln. Wir genossen die Stille und Schönheit der Natur inmitten der beiderseitigen Bergriesen, die in ihrer Form mehr und mehr dem bekannten Huyanapicchu glichen.

Anhalter auf den Gleisen.

Über Aguas Calientes möchte nicht viele Worte verlieren. Der Ort ähnelt einem Kurort und besteht fast gänzlich aus Restaurants und Hotels. Jeweils eins davon war an diesem Tage für uns bestimmt. Erwähnenswert ist, dass es dort abgesehen von 27 Bussen die hinauf zur Inkastadt fahren, keine Autos gibt und statt dessen alle Waren mit Sackkarren transportiert werden.