Freudsche Traumdeutung mit Ayahuasca – ein Selbstversuch

Sowohl in den Komunen der andinischen Campesinos, als auch in den Dörfern des Amazonasgebiet ist der Shamanaismus ein fester, wenn auch nicht offensichtlicher Bestandteil der Kultur. Der Shamane als zentrale Figur des Shamanismus ist Medizinmann, Priester und Naturkundler zugleich. Er heilt körperliche und geistige Leiden, vollführt verschiedene Rituale und Zeremonien, und verfügt über ein umfangreiches naturkundliches Wissen, sowie eine lange Erfahrung mit den ebengenannten Praktiken. Wenngleich mich nun Religion und Esotherik nicht sonderlich interessieren, wollte ich mich dieses Kultes, eines eigenen Urteils wegen, nicht verschliessen. Die Wahrscheinlichkeit einem Shamanen zu begegnen und diesen auch zu erkennen, ist nicht sonderlich groß, doch mit ein paar Beziehungen lässt sich so etwas erreichen. Romi, mein Dschungel-Guide, vermittelte mich an den Shamanen seines Dorfes mit der Bitte, mit mir die Ayahuasca-Zeremonie durchzuführen.Einer solchen Zeremonie geht eine ausführliche Vorbereitung ebenso vorraus, wie sich eine Nachbereitung anschließt. Die eigentliche Durchführung ist durch feste Abläufe bestimmt und baut grundsätzlich auf der Einnahme eines Gebräus verschiedener Pflanzen auf. In diesem Fall ist es die Ayahuasca-Liane (Banisteriopsis caapi) – sie enthält den MAO-Hemmer Harmin, welcher durch hinzufügen von Blättern des Chacruna-Strauchs (Psychotria viridis = DMT), länger wirkt. Die Zeremonie kann mehreren Zwecken dienen. Im wesentlichen geht es den Bewohnern von Puerto Miguel dabei jedoch um die Reinigung ihres Geistes in Hinblick auf die Bewältigung anstehender Aufgaben. Aber auch die Heilung von Krankheiten, den Kontakt zu Toten und Geistern und einen Blick in die Vergangenheit/Zunkunft. Verschiedene andere Beschwörungen sind wohl auch möglich. Ganz agnostisch, wollte ich dies gegenüber dem Shamanen weder verneinen, noch bejaaen, sondern einfach mal schauen, was passiert. Zu Anfang sollte ich ihm ein bisschen was über mich erzählen. Er erschien mir nicht sonderlich sympathisch, dafür jedoch etwas überheblich, und somit beließ ich es bei ein paar knappen Sätzen. Voller Überzeugung wollte er anschließend eine Diagnose meinerselbst abgeben, in dem er meinen Puls fühlte und meine Augen begutachtete. Nicht gerade zu meine Verblüffung, wiederholte er exakt das, was ich ihm kurz zuvor gesagt hatte; nämlich, dass ich mich in meiner Haut und mit meinem Geist gut fühle. Ich versuchte nun umgekehrt sein Befinden zu ermitteln und stieß auf gelblich-blasse Augen mit zahlreichen roten Flecken. Können sich Shamanen nicht selbst heilen, fragte ich mich.

Bereits am Vormittag sollte ich ihm beim Kochen des Trunks helfen. Die Lianenstücke zerdrückte ich mit einem Knüpel. Anschließend wurde alles für ca. 9 Stunden zusammen mit zwei Zigaretten über dem Feuer gekocht. Für den Rest des Tages wurde mir eine Diät verordnet, die mir lediglich den Genuß einer Gemüsesuppe erlaubte. Die Zeremonie begann bei Einbruch der vollständigen Dunkelheit. Der dafür vorgesehene Ort war eine außerhalb vom Ort gelegene Hütte. Außer einer Hängematte mit Moskitonetz gab es dort nichts. Möglichst relaxt und frei von jeglicher Aufregung sollte ich den Trip antreten. Er empfahl mir den wahrlich atemberaubenden Sonnenuntergang am Rio Maranion anzusehen und zu entspannen.

In der Zwischenzeit hatte sich eine Viper in die Feuergrube verirrt und in der Glut zu Tode verbissen. Der Shamane bedauerte dies sehr und konservierte sie in Alkohol. Das Ayahuasca-Süppchen füllten wir in zwei Flaschen und los ging’s: Im Dunklen saß ich auf dem Holzboden während er um mich tänzelte und immer wieder Tabakrauch herum fechelte. Durch seine Faust pustete er mir den vergleichsweise gut riechenden Qualm in meine gefalteten Hände, sowie auf den höchsten Punkt meines Kopfes. Schließlich füllte er den erkalteten Ayahuasca-Saft in eine hohle Holzkugel (Fruchtkapsel?), die ich in zwei Schlücken zu leeren hatte. Gesagt, getan. Nun sollte ich mir auch so einen Tobak anstecken und mit ihm dampfen. Pfui, die erste Zigarette in meinem Leben. Er pfiff und jodelt abermals sein Liedchen, während er, mit dem Blätter-Fecher raschelnd, um mich tänzelte. Mit geschlossenene Augen wartete ich darauf, das etwas passiert. So langsam sah ich ein paar düstre Bilder, aber nichts Spezielles. Drum nahm ich eine zweite Holzkugel mit Ayahuasca ein. Die düstren Bilder wechselten nun im Rhytmus seines Tanzes. Zunächst sah ich viele viele Augen. Tieraugen – von Krokodilen, Wildkatzen, Vögeln und Affen. Alles erschien wie ein Traum, den ich selbst zu kontrollieren vermochte. Die Augen waren mir nach einer Weile zu aufdringlich, statt dessen wollte ich Pflanzen und Bäume sehen. Und es kamen Bäume – vor allem solche, die ich tags zuvor im Wald gesehen hatten. Riesig groß und bildfüllend. Aus einem dieser Gehölze stach ein Affe aus dem Stamm hervor und verschwand wieder. Nun sah ich mich selbst – an einem Ast hängend. Ich schaukelte und schaukelte, bis mir scheinbar schwindlig wurde. Vieles begann sich zu drehen – vor allem drehte ich mich, d.h. ich sah, wie ich einen Salto nach dem Anderen machte. Hunderte Saltos, immer schneller und schnell, bis es mir abermals alles verwirbelte und neue dunkle Ornamente hervortraten. Irgendwann erblickte ich mich selbst aus der Nähe. Zumindest habe ich mich selbst erkannt, doch das Gesicht und der Körper entsprachen nicht der Realität und auch der Vergangenheit. Vielleicht ein Wunschbild, doch so unbedingt perfekt wirkte es nicht – eher älter. Es folgten wieder einige Saltos und ein Sprung in die Erde, zu den Wurzeln und schlußendlich auf zu einer erdigen Reise ans andere Ende der Welte, oder besser, nach Ulm ins Schlafzimmer meiner Freundin, wo ich unter der Bettdecke auftauchte und zugleich das Geschehen von oben überblickte. Ich versuchte mich auf anstehende Aufgaben zu konzentrieren und wandte meine Gedanken den bevorstehenden Prüfung bzw. meiner Diplomarbeit zu, was auch ohne weiteres möglich wurde. Ebenso war ich im Stande, mir die Eulerformel vorzustellen und herzuleiten, was mich sehr erstaunte (diese Aufgabe hatte ich mir vorab gestellt). Außerdem funktionierte mein Gedächtnis ausgezeichnet und vor allem bilderhaft. Sobald ich meine Augen öffnete, war alles wieder normal. Ayahuasca wirkte also traumbildend und bescherrte mir nur eine verzerrte Mischung dessen, was ich in den letzten Tagen erlebt, in Gedanken gehegt und mir mehr oder wenig bewusst gewünscht habe. Es braucht meines Erachtens nicht viel Wissen um Siegmund Freud’s Theorien der Traumdeutung, um (m)eine Ayahuasca-Vision zu deuten. Auch im Traum kann man logisch Denken, verborgene Wünsche entdecken und Wege verfolgen, die tags nicht gangbar waren (infantile Träume). Allerdings hatte ich nie zuvor erlebt, mich selbst in einem Traum zu sehen. Es war also eine außerkörperliche Erfahrung, wenn man so will. Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Holzkugel – diesmal mit dem durchsichtigen Elixier gefüllt – und verspürte sofort den längst überfälligen Brechreiz. Es ist normal, dass man sich nach der Einnahme von Ayahuasca übergibt und seine Gemüsesuppe aus sich herauskotzt. Das Gefühl ist nicht gerade prickelnd, doch mir stieß es nach erneuter, visionsfreier Verabreichung der Tinktur, noch ein weiteres Mal bitter auf. Ehrlichgesagt konnte ich mir auch kaum vorstellen, wie ich eine Tinktur aus gelösten Nikotin anders überleben sollte. Nach insgesamt zwei bis drei Stunden Shamanentanz und Traumreise schlummerte ich etwas unruhig in meiner Hängematte bis der Tag erwachte. Etwas benommen und fast wie besoffen taumelte ich durchs Dorf. Um etwas normales Essen zu können, musste ich meine Diät vorzeitig beenden und einen ganzes 0,2L Glas Zuckerrohrschnaps trinken. Das hat nochmal reingehauen. Den Rest des Tages verbrachte ich im Beisein, um nicht zu sagen unter Aufsicht, des Shamanens. Wir gingen fischen und auf’s Dorffest, aber dazu später mehr.

Beim Piranha-Angeln

Morgenstund und Orchideen

Gegen Mittag wurde es richtig heiß in Piura. Mein Bus stand in der brütenden Hitze und liess den Motor warm werden (das machen hier alle Autofahrer bevor sie losfahren).  Für die nächsten 18 Stunden quetschte ich mich in die erste Sitzreihe, die für Kinder gemacht schien. Der Bus fuhr Richtung Osten durch die kargen Trockenwälder bis schliesslich die ersten Andengipfel auftauchten. Ständig stiegen Leute hinzu und sammelten sich im Gang. Mehrere Babys schrieen. Einige Kinder saßen aufeinander. Durch ein kleines Dreiecksfenster konnte ich mein rechtes Bein hinausstecken und etwas Platz und Abkühlung erlangen. Des nachts verbesserte sich die Temperatur ein wenig. Wir hielten in Jaen, wo die Takstellenbesitzer, schier normal, seinen Kunden mit einem Gewehr entgegentraten. Die Warnungen vor nächlichen Überlandfahrten des deutschen Auswärtigen Amts und verschiedener Reiseführer kamen mir plötzlich wieder in den Sinn. Dennoch schaffte ich es ein Auge zu zu drüken und war ganz verdutzt, als mich irgendjemand morgens um 5 Uhr in Moyebamba weckte. Es war noch dunkel und auf dem Busbahnhof nächtigten einige Leute. Ich setzte mich auf eine Bank und frühstückte ein paar belegte Brote und Bananen. Auf der so genannten Toilette konnte ich mir sogar die Zähne putzen. Inzwischen war es hell geworden und die Meute von Motofahrern (dreirädrige Motorradtaxis) stand in den Startlöchern. Ich eröffnete eine Auktion für eine Fahrt zu den Schwefelbädern. Philofeno gewann innerhalb von 10 Sekunden mit seinem Angebot von 8 Soles. Mit einem Grinsen und hochgetreckten Daumen verabschiedete er sich von seinen Kollegen und führte mich zu seinem Moto.

Die Schwefelbäder lagen am Rande des Waldes, etwa 30 Minuten ausserhalb der Stadt. Die Sonne war noch nicht mal richtig aufgegangen, als wir am Ende eines holprigen Weges die drei milchig weißen Bassins erblickten. Ein junger Kerl fischte noch schnell ein paar Blätter heraus, bevor ich mich kurz in die kühlen Pfützen setzte. Der recht unangenehme Schwefelgeruch machte es nicht gerade zu einem prickelnden Erlebnis, doch immerhin fühlte ich mich danach etwas sauberer und angenehmer als zuvor. Etwas oberhalb der Becken befand sich die Quelle, so wie ein 10m hoher Wasserfall, in dessen Fallbecken sich einige Flusskrebse tummelten.Wenngleich Moyobamba die Hauptstadt des Departmento San Martin ist, bietet sie nichts Aussergewöhnliches, was mich zu einem längeren Aufenthalt hätte bewegen koennen. Lediglich eine kleine private Orchideenausstellung der Familie Villena-Bendezu weckte mein Interesse.

Es war vielmehr eine kleine Gärtnerei mit allerhand Viehchern. Neben großen Aras und anderen kleineren Papageien, saßen eine Schildkroete, vier Krokodile, eine Boa Constrictor und zwei Schweine hinter Gittern und Glas.

Die gebotene Vielfalt an Orchideen war beindruckend. Einige Arten kannte ich aus Mutters Blumentöpfen, andere hatte ich anderenorts im Hochlanddschungel (nahe Cusco) gesehen. Der gesamte Garten grenzte unmittelbar an den Urwald. Nebelschwaden verhüllten den Ursprung teils schriller, elektronisch anmutender Töne. Eine gute Stunde hielt ich inne und bestaunte diesen paradisischen Ort samt seiner Blütenpracht. Die Schönheit der Orchideen schien sich übrigens auch auf die Frau Gärtnerin und ihre beiden Töchter ausgewirkt zu haben.

Nun gut, es war gerade mal 8:20 als ich ein Sammeltaxi nach Tarapoto gefunden hatte. Mit quietschenden Reifen drifteten wir auf der super aspfaltierten Straße binnen zweier Stunden in die “Stadt der Palmen”. Die schwüle Hitze erdrückt mein Verlangen nach touristischen Unternehmungen, die es ohnehin nicht gab, und so bewegte ich mich nicht einmal ins Stadtzentrum. Statt dessen lungerte ich den ganzen Tag in der Halle eines Taxiunternehmen (Cajamarca S.A.) herum. Nicht das es mir dort gefallen hätte, doch irgendwo musste ich ja schliesslich warten bis die Bauarbeiter die Straße nach Yurimaguas wieder frei geben. Ein nahes Internetcafe zerstreute die Langeweile ein wenig. Wegen Sprengungsarbeiten ist die Strasse nach Yurimaguas, außer sonntags, lediglich zwischen 18 und 5 Uhr befahrbar. Bis vor einiger Zeit galt die Strecke wegen der großen Cocaplantagen und Drogenlabors noch als äußerst gefährlich. Die ungeminderte Bedeutung des Drogengeschäfts ist kein unwesentlicher Grund für Tarapotos wirtschaftliches Wohlergehen. Jedoch ist mir nichts der Gleichen aufgefallen.

Tarapoto

El Gran Vilaja

Mittlerweile in Chochapoyas angekommen, entschloss ich mich gegen die Weiterreise nach ans Meer (Piura, Mancora) und für eine dreitägige Treckingtour in der Gran Vilaja Region. Sven wollte mitkommen, denn seine Frau Mindi wollte nach dem Unfall-Schock und den Strapazen der letzten Tage etwas ausspannen. Für 360 Soles (84 Euro) bekamen wir innerhalb von 10 Stunden, also praktisch übernacht, unseren eignen Guide. Deutsche brauchen normalerweise keinen Führer, doch ohne genaues Kartenmaterial, auf dem alle Wegelchen verzeichnet sind, lässt es sich nunmal nicht wandern. Nun gut, CESAR* sollte uns führen! Er war in der Region aufgewachsen, kannte die Situation der Menschen und den Hochlandjungel. Mit dem Taxi fuhren wir zunächst nach Pirquilla, um uns die vier Sarkopharge in den Felswänden anzusehen, und danach ins Valle Huaylle Belen. Der Rio Belen schlängelte sich in perfekten Meandern durch stoppelige Wiesen. Kühe und Pferde standen vereinzelt auf den weiträumigen Grünflächen. Die Ruhe und Windstille war einzigartig. Die Straßen im Nebelwald zogen sich wie Narben durch die Landschaft, aus denen gelbe Erde blutete. Auf einigen Hügeln wucherten lediglich Farne und wenige Sträucher und auch der sonstige Wald war recht jung. Insbesondere die Farne sind es, die durch ihren schnellen und dichten Wuchs andere Pflanzen hindern empor zu kommen (Anmerkung von Steffen K.). Man kann sie deshalb durchaus als Plage ansehen. Alte und starke Bäume waren nicht zu sehen. Ganz offensichtlich war die (Brand-)Rhodung zu gunsten der Land- und Viehwirtschaft längst Normalität.


Huaylle Belen

Auf einer alten Chochapoya-Straße wanderten wir durch Nebel und Wald nach Congon. Entlang des Weges säumten sich die Ruinen und Mauern von Pirquilla.

Pirquilla – kaum zu glauben, dass sich in unmittelbarer Nähe über tausend solcher Rundbauten befinden.

Congon selber ist zwar ein Dorf, doch liegen die Häuser sehr verstreut im Flusstal. Elektrischen Strom gibt es seit einem Jahr. Seit kurzen gibt es auch einen Fernseher im Dorf. Die Leute treffen sich da öfters, um ein bisschen in die Welt zu schauen. Funkmasten fürs Handy oder Telefonkabel gibt jedoch noch keine. Ein Satelitentelefon muss reichen.

Circa acht Stunden Fussmarsch von Congon entfern, am Rio Miriñon, befinden sich grosse Coca-Plantagen. Ein lokaler Drogenbaron hat dort ein ganzes Dorf unterworfen und zur Zwangsarbeit in den Plantagen und zum Stampfen der Blaetter verpflichtet. Sein Terretorium regiert er durch die Gewalt von min. 80 Paramilitärs. Wer nicht folgt wird erschossen. Cesars Vater arbeitete bis vor kurzen noch als Lehrer in dem Dorf. Touristen sind dort natürlich nicht willkommen.

In Congon ist die Welt diesbezüglich noch in Ordnung. In einem länglichen Bauernhaus mit langer Veranda erhalten wir Kost und Logie. Unser Zimmer muffelt kräftig nach Pferd, doch wenn ein Lüftchen durchzieht, merkt man das gar nicht. Hinsichtlich der Hygiene drückten wir einige Augen zu, wenn Hühner und Hunde durch die Küche schlichen oder die freilaufende Meerschweinchenkolonie unter dem Herd mit herabfallenden Kartoffelschalen gefüttert wurde. Die Hunde waren lieb und stets hungrig. Der kleinste von den Dreien fraß sogar Insekten; am liebsten die großen Nachfalter. Fleisch gab’s natürlich keins für die Tiere. Auch für uns gabs einfache Kost, die teilweise etwas gewöhnungsbedürftig war (stinkendes Trockenfleisch). Absolut lecker hingegen: der selbst angebaute Kaffee!

Am zweiten Tag wanderten wir zusammen mit dem Hausherren und einem Jungen aus dem Dorf zu den Sarkopharge Curra Secreto. Diese waren mitten im Jungel an einer Felswand. Ein Schullehrer hatte vor 15 Jahren mit seine Klasse die Mumien zerstört und geplündert, so dass heut nur noch die Knochenhaufen und ein paar Stoff- und Seilreste rumliegen. Man kann also einen anatomischen Exkurs veranstalten und ein menschliches Skelet zusammensetzen. Archäologen scheinen von dem Chochapoya-Friedhof in den Felse von Concon zu wissen, hielten es bislang jedoch nicht für nötig die Funde zu sichern. Peru hat so viele archäologische Schätze, dass sie derzeit mit den zur Verfügung stehenden (finanziellen) Mitteln nicht gesichert werden können. Seit vier Jahren spielen nun schon Touristen wie wir mit den Knochen und stören die Ruhe der Toten. Zwei Mumien sind noch vollständig erhalten, da sie sich in schier unerreichbarer Höhe im Felsen befinden.

Als nächstes kämpfte wir uns mit der Machete zu einem Wasserfall durch. Dahin führte kein Weg und alles war dicht zugewachsen. Richtiger Urwald eben. Sogar große, alte Bäume standen gab es. Der Wasserfall war jedoch nicht mehr als ein Wasserfall. Ok, 50-70 Meter hoch. Oben drüber sollte es noch einen geben. Wir machten uns auf, ihn zu suchen. Unsere Guids kannten ihn (angeblich?) auch noch nicht. Der Aufstieg war nicht einfach, doch lohnenswert. Der Wasserfal war noch größer. Später sahen wir, dass oben drüber noch weitere Wasserfälle seien müssten. Wesentlich spektakulärer sind jene Wasserfälle jedoch während der Regenzeit. Dieser Tage träufelt vergleichsweise wenig Wasser hinunter. In diesem Zusammenhang möcht eich noch anmerken, dass es anscheinend noch einige “unbekannte” Wasserfälle gibt. Vor wenigen Jahren entdeckte ein Deutscher ganz in der Nähe den weltweit dritthöchsten Wasserfall. Den Einheimischen war selbiger natürlich schon ewig bekannt, nur haben sie sich nichts daraus gemacht.

Für den letzten Tag stand ein harter Fussmarsch nach … an. Recht spät, nämlich gegen 6:30, liefen wir schnellen Schrittes los. Vielleicht etwas zu schnell, denn als sich nach 3 Stunden die ersten Berge vor uns stellten, fehlte mir plötzlich die Kraft zum Weitergehen. Wahrscheinlich hatte ich bis dahin das (magere) Frühstück verbrannt und meinen Koerper an die schnelle Zuckerzufuhr (Weizenmehl) gewöhnt. Ich musste zehn Minuten schlafen und eine Unmenge Bonbons essen, bevor ich wieder in Schwung kam. Auf halben Wege, nahe den Ruinen von Lauche, tauschte zum Glück ein Gasthaus auf. Nach zwei Supen und ein paar Schockoriegeln war meine Energiekriese endgültig ueberstanden. Trotzdem hatten wir kaum Gelegenheit die Landschaft in vollen Zügen zu geniesen, da wir bis 15 Uhr in … seinen mussten, um einen Minibus nach Chochapyas zu erwischen. Die Wanderung entwickelte sich zum Gewaltmarsch. Mir verging die Lust am Fotografieren, da wir nicht mal beim Erreichen der Passhoehe eine Pause einlegten und statt dessen in 30 Minuten 650 Hoehenmeter ins Tal ranten. Nicht etwa, dass mir dieser Downhill auf den sandigen Weg keinen Spass gemacht hätte, aber mit Wandern hatte es nichts mehr zu tun.


* Cesar Espeso Chavaz, cesarech27-4[at]hotmail.com

Die Welt ist wirklich ein Dorf

Für meinen halbjährigen Aufenthalt in Peru hatte ich mir vorgenommen, meine Sinne zu schärfen und das Land und seine Bewohner aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Als Sprachschüler, Tourist und Praktikant gewinnt man schon recht tiefe Einblicke, doch die Tahlsohle ist längst nicht in Sicht – auch nicht, wenn man in Gastfamilien wohnt und mit vielen Leuten auf der Straße spricht. Meine Chefs sind da schon offener und gehen mit ihrem Land schärfer ins Gericht. Andere hingegen schweben auf einer patriotischen Wolke und erzählen mir von der Schönheit allen Übels, um ja nicht schlecht da zu stehen – das hieße ja eventuell die eigenen (Mit)Schuld einzugestehen.

Am heutigen Tage machte ich mich auf, die gesellschaftliche Talsohle zu ergründen und bagab mich in ein Gefängnis – allerdings, um dort einen Deutschen zu besuchen. Die Deutsche Botschaft hatte auf meine Anfrage hin, über die Mutter des Inhaftieren, indirekt den Kontakt hergestellt. Die meisten ausländischen Gefangenen werden aufgrund von beabsichtigten oder unbeabsichtigten Drogendelikten oder -schmuggel hier festgehalten. Eine Verurteilung kann sich über Monate hinziehen und bis zu 20 Jahre Haft bedeuten. Eine teilweise Aussetzung auf Bewährung kann nach ein paar Jahren erfolgen, wenngleich die Bewährungzeit hier verbracht werden muss (in solchen Fällen empfiehlt die Botschaft die illegale Flucht aus dem Land). Von Pablo Libre – einem sehr armen Stadtviertel Limas – nahm ich einen lokalen Bus nach Huaral, wo sich das Gefängnis laut meinen Informationen befinden sollte. Der Bus fuhr auf der Pan America Norte – vorbei an den Slumsiedlungen, den Müllbergen und den grau-schwarz verschmutzen Wüstenbergen, die erst nach etlichen Kilometern ihre natürliche gelbe Farbe annehmen sollten. Vom Meer abgewand, folgten Baumwollplantagen, Obstanbaugebiete und viele saftig grüne Kartoffelfelder. Über den Tälern greisten Adler und auf den Äckern zogen Ochsen die Furchen. Ich glaubt nach einer Stunde Fahrt, der Bus würde im Vorstadtslum kurz anhalten, doch es war bereits das Stadtzentrum. Ich kaufte ein paar Mandarinen als Mitbringsel und erkundigte mich bei den Leute nach dem Gefängnis. Sichtlich erstaunt über meine Frage, half man mir ein Taxi dorthin zu arrangieren. Die Informtion aus der Botschaft war reichlich unpräzise. Das Gefängis befindet sich am Rande des Dorfes Aucallama (20min ausserhalb von Haural), am Fuße eines Wüstenberges. Dahin führt keine Straße, nur ein eingefahrener Sandweg schlängelt sich dahin. Große Hunde rennen neben dem Wagen her und schnappen nach meinem Ellebogen, der aus dem Fenster hängt. Die Luft ist so Feucht, dass die Nebelglocke über uns eigentlich zu platzen vermag.

Nach dem ich meinen Reisepass aus meinem Schuh hervorkrame, gewährt man mir den Einlass. Hinter der ersten Sicherheitsbarriere gehe ich auf eine der Toiletten. Das Wasser zum Spülen steht vor der Pissrinne – wie dufte. Nun laufe ich durch einen Metalldetektor und entledige mich meines Gürtels. In einer kleinen Kabine möchte einer der Wächter, dass ich meine Schuhbändel herausziehe. Ich sage ‘nein’ und er hält die Hand für einen Sol auf. Schließlich trete ich in einen der Pavillons ein und bin froh, dass es wirklich eine Person mit dem Namen gibt. Ohne einen Wachman bin ich nun im Bereich der Zellen mit den Gefangenen allein. Ein blonder, mittelgroßer und kräftiger Typ begrüßt mich mit einem Lächeln und stellt sich vor: “Ich bin Silvio” (Namen und Orte geändert). Nach fünf Minuten stellen wir verdutzt fest, dass wir beide zuletzt in Ulm gewohnt haben und sogar ein paar Bekannte miteinander teilen, uns jedoch noch nie zuvor bewusst begegnet sind. Silvio ist gerade mal ein Jahr älter als ich, wirkt sehr ausgeglichen und besonnen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, vor allem ist er jedoch gesund. Die Botschaft hat ihm eine Matratze und zwei Decken beorgt und lässt ihm in regelmäßigen Abständen auch Geld zukommen. Er sagt, dass er im Pavillon E1 (Bereich des Gefängnisses) ganz gut zurecht kommt, wenngleich die kulturellen Unterschiede enorm sind. Er kann also niemanden vollständig vertrauen, weiss jedoch wie er mit den Leuten umgehen muss. Er lebt mit keinen Schwerverbrechern zusammen in einem Pavillon – das ist schon mal sehr gut. Überhaupt hatte ich einen recht guten Eindruck von dem Pavillon, obwohl es dort für Leute wie Silvio, die keine eigene Zelle haben, auch nur zwei mal täglich fliessend Wasser gibt. Dafür haben sie eine eigene Kochmöglichkeit, wo sich einer der Mitgefangenen häufig als Koch hervortut und Malzeiten verkauft. Silvio hilft ihm manchmal und bekommt nebenbei nicht nur eine kleine Portion Essen, sondern auch ein Lektion in Sachen peruanischer Küche. Natürlich gibt es auch Essen aus der Gefangenenküche, allerdings ist dieses nicht besonders abwechslungsreich (Hähnchen mit Reis – täglich!) und auch hygienisch nicht einwandfrei. Die Reichung von weißem Reis ohne ausreichender Mineralien- und Vitaminzufuhr löst Mangelerscheinungen aus und schädigt den Körper auf Dauer. Silvio weiss sich jedoch andere Lebensmittel zu organisieren – sprich zu erkaufen. Neben diesem faden Mittagessen, gibt es noch ein Frühstück, bestehend aus drei Semmeln mit Marmelade o.ä., und eine Suppe zum Abendbrot. Nachdem ich nun weiß, wie die Besucherprozedur verläuft, werde ich ihm beim nächsten mal auch ein paar mehr Sachen mitbringen. Diesmal waren’s nur Mandarinen, ein paar spanische Tageszeitungen (die deutschen waren vergriffen, als ich gestern welche kaufen wollte) und ein Buch über Gedächtnistraining, worüber er sich sehr gefreut hat. Geistige Fitness scheint ihm wichtig zu sein, weshalb ich mich demnächst auch bei Freunden nach deutschsprachigen Sachbüchern umsehen werde. Die Zeit vertreibt er sich mit Lesen. Sport mag er keinen machen, um seinen Körper zu schonen. Auch die Möglichkeit in der Werkstatt des Pavillons Kunsthandwerk anzufertigen, spricht ihn verständlicher Weise nicht besonders an. Seit ein paar Tagen ist noch ein zweiter Deutscher im Gefängnis, den ich beim nächsten mal mit besuchen werde. Sollte er weiterhin im Pavillon D bleiben, braucht er ganz sicher Hilfe, denn unter Leuten, die lebenslang einsitzen, kann die Lage schnell eskalieren. Drogenkonsum (Coca-Paste rauchen, u.a.) und Gewalt sind an der Tagesordnung, ja sogar Messerstechereien kommen vor. Vor einiger Zeit wurden vier Kilo Cocain sichergestellt. Bis zum Direktor sind alle in die Drogengeschäfte verwickelt.