Freudsche Traumdeutung mit Ayahuasca – ein Selbstversuch

Sowohl in den Komunen der andinischen Campesinos, als auch in den Dörfern des Amazonasgebiet ist der Shamanaismus ein fester, wenn auch nicht offensichtlicher Bestandteil der Kultur. Der Shamane als zentrale Figur des Shamanismus ist Medizinmann, Priester und Naturkundler zugleich. Er heilt körperliche und geistige Leiden, vollführt verschiedene Rituale und Zeremonien, und verfügt über ein umfangreiches naturkundliches Wissen, sowie eine lange Erfahrung mit den ebengenannten Praktiken. Wenngleich mich nun Religion und Esotherik nicht sonderlich interessieren, wollte ich mich dieses Kultes, eines eigenen Urteils wegen, nicht verschliessen. Die Wahrscheinlichkeit einem Shamanen zu begegnen und diesen auch zu erkennen, ist nicht sonderlich groß, doch mit ein paar Beziehungen lässt sich so etwas erreichen. Romi, mein Dschungel-Guide, vermittelte mich an den Shamanen seines Dorfes mit der Bitte, mit mir die Ayahuasca-Zeremonie durchzuführen.Einer solchen Zeremonie geht eine ausführliche Vorbereitung ebenso vorraus, wie sich eine Nachbereitung anschließt. Die eigentliche Durchführung ist durch feste Abläufe bestimmt und baut grundsätzlich auf der Einnahme eines Gebräus verschiedener Pflanzen auf. In diesem Fall ist es die Ayahuasca-Liane (Banisteriopsis caapi) – sie enthält den MAO-Hemmer Harmin, welcher durch hinzufügen von Blättern des Chacruna-Strauchs (Psychotria viridis = DMT), länger wirkt. Die Zeremonie kann mehreren Zwecken dienen. Im wesentlichen geht es den Bewohnern von Puerto Miguel dabei jedoch um die Reinigung ihres Geistes in Hinblick auf die Bewältigung anstehender Aufgaben. Aber auch die Heilung von Krankheiten, den Kontakt zu Toten und Geistern und einen Blick in die Vergangenheit/Zunkunft. Verschiedene andere Beschwörungen sind wohl auch möglich. Ganz agnostisch, wollte ich dies gegenüber dem Shamanen weder verneinen, noch bejaaen, sondern einfach mal schauen, was passiert. Zu Anfang sollte ich ihm ein bisschen was über mich erzählen. Er erschien mir nicht sonderlich sympathisch, dafür jedoch etwas überheblich, und somit beließ ich es bei ein paar knappen Sätzen. Voller Überzeugung wollte er anschließend eine Diagnose meinerselbst abgeben, in dem er meinen Puls fühlte und meine Augen begutachtete. Nicht gerade zu meine Verblüffung, wiederholte er exakt das, was ich ihm kurz zuvor gesagt hatte; nämlich, dass ich mich in meiner Haut und mit meinem Geist gut fühle. Ich versuchte nun umgekehrt sein Befinden zu ermitteln und stieß auf gelblich-blasse Augen mit zahlreichen roten Flecken. Können sich Shamanen nicht selbst heilen, fragte ich mich.

Bereits am Vormittag sollte ich ihm beim Kochen des Trunks helfen. Die Lianenstücke zerdrückte ich mit einem Knüpel. Anschließend wurde alles für ca. 9 Stunden zusammen mit zwei Zigaretten über dem Feuer gekocht. Für den Rest des Tages wurde mir eine Diät verordnet, die mir lediglich den Genuß einer Gemüsesuppe erlaubte. Die Zeremonie begann bei Einbruch der vollständigen Dunkelheit. Der dafür vorgesehene Ort war eine außerhalb vom Ort gelegene Hütte. Außer einer Hängematte mit Moskitonetz gab es dort nichts. Möglichst relaxt und frei von jeglicher Aufregung sollte ich den Trip antreten. Er empfahl mir den wahrlich atemberaubenden Sonnenuntergang am Rio Maranion anzusehen und zu entspannen.

In der Zwischenzeit hatte sich eine Viper in die Feuergrube verirrt und in der Glut zu Tode verbissen. Der Shamane bedauerte dies sehr und konservierte sie in Alkohol. Das Ayahuasca-Süppchen füllten wir in zwei Flaschen und los ging’s: Im Dunklen saß ich auf dem Holzboden während er um mich tänzelte und immer wieder Tabakrauch herum fechelte. Durch seine Faust pustete er mir den vergleichsweise gut riechenden Qualm in meine gefalteten Hände, sowie auf den höchsten Punkt meines Kopfes. Schließlich füllte er den erkalteten Ayahuasca-Saft in eine hohle Holzkugel (Fruchtkapsel?), die ich in zwei Schlücken zu leeren hatte. Gesagt, getan. Nun sollte ich mir auch so einen Tobak anstecken und mit ihm dampfen. Pfui, die erste Zigarette in meinem Leben. Er pfiff und jodelt abermals sein Liedchen, während er, mit dem Blätter-Fecher raschelnd, um mich tänzelte. Mit geschlossenene Augen wartete ich darauf, das etwas passiert. So langsam sah ich ein paar düstre Bilder, aber nichts Spezielles. Drum nahm ich eine zweite Holzkugel mit Ayahuasca ein. Die düstren Bilder wechselten nun im Rhytmus seines Tanzes. Zunächst sah ich viele viele Augen. Tieraugen – von Krokodilen, Wildkatzen, Vögeln und Affen. Alles erschien wie ein Traum, den ich selbst zu kontrollieren vermochte. Die Augen waren mir nach einer Weile zu aufdringlich, statt dessen wollte ich Pflanzen und Bäume sehen. Und es kamen Bäume – vor allem solche, die ich tags zuvor im Wald gesehen hatten. Riesig groß und bildfüllend. Aus einem dieser Gehölze stach ein Affe aus dem Stamm hervor und verschwand wieder. Nun sah ich mich selbst – an einem Ast hängend. Ich schaukelte und schaukelte, bis mir scheinbar schwindlig wurde. Vieles begann sich zu drehen – vor allem drehte ich mich, d.h. ich sah, wie ich einen Salto nach dem Anderen machte. Hunderte Saltos, immer schneller und schnell, bis es mir abermals alles verwirbelte und neue dunkle Ornamente hervortraten. Irgendwann erblickte ich mich selbst aus der Nähe. Zumindest habe ich mich selbst erkannt, doch das Gesicht und der Körper entsprachen nicht der Realität und auch der Vergangenheit. Vielleicht ein Wunschbild, doch so unbedingt perfekt wirkte es nicht – eher älter. Es folgten wieder einige Saltos und ein Sprung in die Erde, zu den Wurzeln und schlußendlich auf zu einer erdigen Reise ans andere Ende der Welte, oder besser, nach Ulm ins Schlafzimmer meiner Freundin, wo ich unter der Bettdecke auftauchte und zugleich das Geschehen von oben überblickte. Ich versuchte mich auf anstehende Aufgaben zu konzentrieren und wandte meine Gedanken den bevorstehenden Prüfung bzw. meiner Diplomarbeit zu, was auch ohne weiteres möglich wurde. Ebenso war ich im Stande, mir die Eulerformel vorzustellen und herzuleiten, was mich sehr erstaunte (diese Aufgabe hatte ich mir vorab gestellt). Außerdem funktionierte mein Gedächtnis ausgezeichnet und vor allem bilderhaft. Sobald ich meine Augen öffnete, war alles wieder normal. Ayahuasca wirkte also traumbildend und bescherrte mir nur eine verzerrte Mischung dessen, was ich in den letzten Tagen erlebt, in Gedanken gehegt und mir mehr oder wenig bewusst gewünscht habe. Es braucht meines Erachtens nicht viel Wissen um Siegmund Freud’s Theorien der Traumdeutung, um (m)eine Ayahuasca-Vision zu deuten. Auch im Traum kann man logisch Denken, verborgene Wünsche entdecken und Wege verfolgen, die tags nicht gangbar waren (infantile Träume). Allerdings hatte ich nie zuvor erlebt, mich selbst in einem Traum zu sehen. Es war also eine außerkörperliche Erfahrung, wenn man so will. Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Holzkugel – diesmal mit dem durchsichtigen Elixier gefüllt – und verspürte sofort den längst überfälligen Brechreiz. Es ist normal, dass man sich nach der Einnahme von Ayahuasca übergibt und seine Gemüsesuppe aus sich herauskotzt. Das Gefühl ist nicht gerade prickelnd, doch mir stieß es nach erneuter, visionsfreier Verabreichung der Tinktur, noch ein weiteres Mal bitter auf. Ehrlichgesagt konnte ich mir auch kaum vorstellen, wie ich eine Tinktur aus gelösten Nikotin anders überleben sollte. Nach insgesamt zwei bis drei Stunden Shamanentanz und Traumreise schlummerte ich etwas unruhig in meiner Hängematte bis der Tag erwachte. Etwas benommen und fast wie besoffen taumelte ich durchs Dorf. Um etwas normales Essen zu können, musste ich meine Diät vorzeitig beenden und einen ganzes 0,2L Glas Zuckerrohrschnaps trinken. Das hat nochmal reingehauen. Den Rest des Tages verbrachte ich im Beisein, um nicht zu sagen unter Aufsicht, des Shamanens. Wir gingen fischen und auf’s Dorffest, aber dazu später mehr.

Beim Piranha-Angeln