Kuelap (Teil II)

Relativ früh am nächsten Morgen fuhren wir hinauf zur Festung von Kuelap. Von Weitem recht unscheinbar, wirken die 21m hohen Mauern der Festungsanlage um so beeindruckender, wenn man direkt vor ihnen steht. Eine gewisse Ähnlichkeit mit europäischen Festungen des Mittelalters ist unverkennbar, wenngleich es statt großer Tore hier nur zwei Eingangsscharten gibt. Eindringlinge konnten von oben beschossen oder zur gegenüberliegeden Scharte wieder herausgetrieben werden. Bereits vor den Mauern stolpert man fast über Tonscherben. Das Innere der Festung gleicht einem wilden Terrassengarten mit Rundbeeten und Wegen, die gleichsam durch Steine begrenzt sind. Alpacas bremsen den Wildwuchs der Gräser, doch die Bäume überschatten längst weite Teile der Anlage. Auf den erwähnten Terrassen waren einst verschiedene Gesellschaftsklassen angesiedelt.

Die Rundbeete sind die Grundmauern der chochapoya-typischen Rundhäuser mit konischem Dach. Bislang wurde eines dieser Häuser rekonstruiert. Auffällig ist, wie dicht diese Häuser beieinander standen und wie verwinkelt und eng die Gassen zwischen ihnen gewesen sein müssen. In jedem Haus befand sich ein Malstein und eine zylindrische Vertiefung, welche als ‘Kühlschrank’ diente. Unklar ist mir die Funktion, des ebenfalls in den Häusern befindlichen (Luft-/Rauch-) Schachtes. Neben den Rundbauten gibt es auch eine wenige rechteckige Häuser, die man auf die gegenüber den Chochapoyas siegreichen Inkas zurückführt. Im östlichen Teil der 580m langen Anlage befindet sich ein sonderbarer Bau, der aufgrund seiner Form als Tintenfass bezeichnet wird. Derweil versucht man das Bauwerk zu stabilisieren. Seine Funktion ist unklar. Im inneren fanden sich Knochen von Raubtieren. Man mutmaßt, dass jener obere Tel der Festungsanlage den Priestern vorbehalten war und auch zu astronomische Beobachtungen diente. In der Umgebung der Stadt Chachapoya gibt es eine ganze Reihe von Ruinen, die zwischen 800 und 1300 n.Chr. durch die Chochapoyas gebaut wurden. Kuelep scheint die mächtigste Verteidigungsanlage zu sein. Sie bot Platz für etwa 3000 Menschen. Trotzdem ist das, 1843 von einem lokalen Richter wiederentdeckte, Kuelap nur ein Bauwerk von tausenden in der Region. Gene Savoy entdeckte 1984 die größte prekolumbianische Stadt Südamerikas – etwa einen Tagesmarsch von Kuelap entfernt. Ihr Name: Gran Vilaya. Bereits 1965 entdeckte er die Stadt Gran Pajaten im heutige Nationalpark Rio Abiseo, weit im Süden von Kuelap.

Wer nach Kuelap reist, braucht keinen Führer. Man kann sich belesen oder einen der Archäologen vor Ort fragen. Auch das winzige Museum hilft aufkommende Fragen zu klären. Am einfachsten erreicht man Kuelap von Chochapoyas aus mit einem Collectivo oder einem Taxi. Von Maria aus kann man innerhalb eines Tages nach Congon (Gran Vilaja) laufen. Sven und ich sind den Berg hinunter nach Tingo gewandert. Es war ein schöner Weg, den ich aufgrund seiner Steilheit jedoch ungern in umgekehrter Richtung gehen würde. Kurz vor Tingo sahen wir in einem Garten wie einige Männer zwei Esel um eine Art Presse trieben. Sie pressten Zuckerrohr. Wir sollten herein kommen und den süßen Saft probieren. Schnell merkten wir, wie besoffen diese Bande war. Über dem Lagerfeuer wollten sie sicher noch mehr Schnaps brennen.

John hatte während der Abfahrt einen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug, was ohne zu hupen etwas zu eng die Kurve geschnitten hatte. Zum Glück kam niemand zu (körperlichen) Schaden. Angesichts des Zustands der Straßen und der Fahrweise, der meisten Leute, wundert es, dass nicht noch mehr passiert. In der örtlichen Polizeistation weigerte man sich den Schaden aufzunehmen. Der Kotfluegel hatte sich samt der Tür verschoben, so dass sich selbige nicht mehr öffnen liess. Um die Sachen nicht noch weiter zu verkomplizieren, wollten ich mit Sven allein nach Chochapoyas fahren. Dafür kamen Taxis, Minibusse oder eben LKWs in Frage. Ein Kaffee-Laster erschein, wie gerufen. Oben drauf saß ein aufgeweckter Bauer namens Jose. Er erzählte viel von seiner Kooperative und dem Leben in der Region, in der es nur ein Satelitentelfon gibt, jedoch keinen Strom. Er plauderte von Schamanen und Medizinstudenten, die jeweils für ein Jahr in sein Dorf (Puraznillo, Distr. Pisuquia, Prov. Luya) abgeordnet werden. Ebenso berichtete er von den Schwierigkeiten seinen ökologisch einwandtfreien Kaffee zertifizieren zu lassen und ohne Zwischenhändler in Chiclajo direkt an einen Exporteur zu verkaufen. Er zeigte uns sein Feuerzeug, welches aus einem trockenen Stück Holz und einem Feuerstein bestand. Natürlich kaute er Coca mit Kalk (=Katalysator), damit liesse es sich besser und schneller arbeiten, meinte er. Wir sollten ihn doch unbedingt mal in seinem Dorf, nahe des Rio Mariñon besuchen. Es wären schon einmal ein paar Deutsche da gewesen, denn schliesslich gebe es dort auch so etwas, wie Kuelap; nur viel viel größer (Los Geutunes). Archologen wuerden den Ort noch nicht kennen, fuegte er hinzu. Wir sagtem ihm, er solle doch als Touristen-Guide arbeiten – so gut und interessant, wie er erzählen kann. Gern hätten wir das Gespräch mit ihm fortgeführt, doch an der Kreuzung nach Chochapoyas mussten wir abspringen und weiter trampen.

Jose mit seinem “Zigarettenanzünder”

Wie John die Sache mit seinem Mietwagen geregelt bekommen hat, würde mich sehr interessieren. In den Mietkondtionen stand eindeutig, dass er nur auf asphaltierten Strassen fahren darf. Nach Chochapoyas führt keine durchgehende Asphaltstrasse. Der arme John hat das sicher nicht so genau gelesen. Gegen Ende war er so weit verwirrt, dass er seine Brille und paar seiner Antidepressiva verloren hatte. Ich emfand es sehr tragisch, zu sehen, wie ein solch herzensguter und urkomischer Optimist durch einen einzigen Zwischenfall so aus der Bahn geworfen wird.

El viaje en el camiñon

Ein Mann veriet mir, dass ich auf dem Markt einen Kartoffellaster finden würde, der auf direktem Wege nach Leymebamba fährt. Eigentlich hoffte ich ja auf eine Busverbindung, doch eine solche gibt es nur sonntags und dienstags. Blöd, dass heute Monatg ist und auf dem Markt kein Laster weit und breit verkehrt. Am Rondell sollte, wie jeden Morgen, irgendwann ein LKW abfahren. Ich meine jene LKWs, die ausschliesslich Personen und deren Waren transportieren – sie verkehren sogar in den Randbezirken Limas. Ich saß nun mit Sack und Pack am Kreisverkehr und wartete auf meinen Laster. Eine gute halbe Stunde später rollte ein 7,5-Tonner an. Zugleich sicherte ich mir den besten Platz auf dem Führerhaus. Während der LKW noch drei Runden durch die Stadt drehte, um Leute einzusammeln, versuchte ich es mir auf meinem Schlafsack bequem zu machen. Und es dauerte nicht lang, da saß die kleine Isabela neben mir. Mit grossen Augen und etwas schüchtern starrte sie mich an. Mein Bart musste wohl sehr eigenartig auf sie gewirkt haben.

Auf der Ladefläche standen nun dicht geträngt 30 Leute. Ein dudelndes Kofferadio rauschte im Duett mit dem rörigen Dieselmoter. Der Wagen schaukelt und wippt auf den schlechten Bergpisten. Drum herum staubt es. Äste und Zweige peitschen an mir vorbei. Isabela lächelt. Wir unterhalten uns ein bisschen, bis ein Junge hinaufsteigt und ihr stolz wie ein Macho von seinen Kühen und Pferden erzählt. An einer Weggabelung halten wir in einem ‘Restaurant’. Ich schau gar nicht erst, was es zu essen gibt und schlafe statt dessen bis mich die Kinder wecken um mir Tiere (Loros, Affen, Condores) und Pflanzen zu zeigen.

Natürlich denken sie, wie alle auf dem LKW, ich sei ein us-amerikanischer Gringo. Als ich ihnen sage, dass ‘Camiñon’ im Amerikanischen ‘Truck’ heisst, freuen sie sich riesig und wiederholen das Wort immer und immer wieder. Am Ende der Fahrt wissen sie, wie man bis 40 zählt und sich vorstellt. Bei der zweiten Reifenpanne geht Isabela mit ihrer Mutter in ihr Dorf; nahe Balsas. Ihr Lächeln schwindet, kurze Zeit später ist sie mit einem grossen Beutel auf dem Rücken im dichten Urwaldgrün des Rio-Mariñon verschwunden. Auf dem LKW sitzen scheinbar nur noch Leute aus ein und demselben Dorf. Ein Grauhaar mit goldener Armbanduhr konfrontiert mich aus dem Nichts mit europäischer Wirtschaftspolitik und den Folgen von Globalisierung. Ich kann ihm kaum folgen und noch weniger argumentieren. Er ist gebildet und möchte, dass ich ihm zustimme. Hundert Kurven weiter erscheint endlich das ersehnte Dorf meiner Mitreisenden. Mit einem lautstarken ‘Ciao Gringo’ verabschieden sie sich im Chor. Ziemlich genau zum Sonnenuntergang erreichen wir Barro Negro – den Pass auf 3800m Höhe. Von nun an wird es kalt und dunkel. Die beiden Kinder des Lastwagenfahrers schlafen und spielen auf der Ladefläche mit ihrem kleinen Hund. Dem armen Tier kam die Natur und bescherrte mir eine Pfütze um die Schuhsohlen. Gegen 9 Uhr abends erreichen wir nach 11-Stündiger Fahrt Leymembamba.