Zehn freie Tage sollten es sein – zum Reisen. Gleich der erste fiel den Folgen des kollektiven Nachtschwärmens und der aufgestauten Müdigkeit der letzten Tage zum Opfer. Ich verschlief meinen ersten Bus und verpasste den Zweiten beim Mittagessen in meiner Eckbar. Beim dritten Anlauf blieb mir nur ein teurer Platz in Cruz del Sur’s Bus nach Cajamarca, jedoch bedingten die breiten first-class-Sitze eine halbwegs erträgliche Nachtruhe auf den kurvigen Bergstrassen. Neben mir saß eine strahlende Spanierin namens Rakel. Wir verstanden uns sofort und hatten uns für die kommenden Tage auch das Gleiche vorgenommen. Das Gute war: sie sprach kein Englisch und statt dessen jene Sprache, die alle Menschen verstehen, um so ausgezeichneter. In manch einer gefrusteten Situation war ich dieser Sprache hier leid geworden und so staunte ich nicht schlecht, als wir in ein Dorf kamen, wo scheinbar alle Menschen Experten diese Sprache zu seien schienen. Gemeint ist die Sprache der Freundlichkeit. Sie erschien mir wie ein geistiger Wink mit dem Zaunspfahl im Vergleich zu den trostlosen und hämischen Gesichtern Limas. Doch eröffnet sie Türen und Tore für einen Lichtstrahl des Herzens. Eineinhalb Stunden mit dem Taxi braucht es, wenn man von Cajamarca aus, dieses außergwöhnlich Dorf in den nördlichen Anden erreichen möchte. Die Rede ist von Granja Porcón. Bereits bei der Ankunft erfährt man die Grundvokabel: ein deutliches und ehrlich gemeintes Buenos Dias. Ich traf keinen Dorfbewohner, der es mir diese Vokabel nicht vorsagen wollte. Und auch sonst wirkte alles etwas anders. Die Berglandschaft mit ihrem dichten Pinienwald, den Kuhherden und der Sauberkeit erinnerten mich an Deutschland und hätten auch fast mein Heimweh getilgt, wäre da nicht das simple peruanische Essen, das selbst auferlegte Alkohol-, Rauch- und Popmusikverbot und dieses eigenartige Vicuña-Vieh (Auchenia Vigugna) überall im Dorf. Dennoch oder gerade deshalb hat dieses Dorf einen Modellcharakter für Peru. Wie in den meisten peruanischen Dörfer, gibt es auch hier eine Kooperation der Bauern, die sich in mehrere Kommunen unterteilt und bestimmte Aufgaben gemeinsam angeht. Die Kooperation ist dieserorts jedoch durch den Protestantismus geeint und strengen Regeln unterworfen: Vor dem Essen beetet man und Sonntags führt der erste Weg in die Kirche. Dies kommt nicht von ungefähr und schon gar nicht von irgendwoher. Die Schweizer – genauer die Gemeinde St. Gallus in Tettnang – initiierten die Gründung der Kooperative und bewahrten die Campesinos (z.dt.: Bauern) vor der Enteignung und Zerstörung ihrer Lebensgrundlage durch die einst geplante Goldmine in Porcón. Ironischer Weise wäscht hier nun, wie in der gesamten Region Cajamarca seit 1946, der schweizer Konzern Nestle seine Wäsche, ähm Milch, weiss. Ebendiese wollte ich natürlich probieren, denn sie wurd’ ja frisch aus dem Euter gezapft. Leider schmeckte sie ein bisschen nach der Cola, die zuvor in der Flasche war. Halb so schlimm. Wir asen für 5 Sol zu Mittag und schlenderten durchs dörfliche Idyl. Auf dem Dorfplatz wehen einige internationale Fahnen, man verkauft dorfeigenen Käse, Joghurt und Honig. Auch die Forellen aus eigener Zucht werden an einem Grillstand angepriesen. Nahe der Melkanlage befindet sich eine Tischlerei und eine Weberei, in der die Fasern der Vicuña verarbeitet werden. Aus letzteren entstehen wertvolle Stoffe, denn die Vicuñas kann man nur aller drei Jahre schären.
Den kleinen, aber dennoch artenreichen Tierpark besuchen wir bewusst nicht. Rakel ist aus dem selben Grund Vegetarierin wie ich einst und beobachtet Tiere lieber in freier Wildbahn. Einem kleinem Loro (Papagei) gelang die Flucht und so flatterte er kreischend übers Tal. Früher muss es hier ganze Scharen von ihnen gegeben haben. In den Monokulturen des Nadelwaldes (Kiefernarten) hingegen, ist kein Platz mehr für die Artenvielfalt des Hochland-Regenwaldes. Ziellos wandern wir im Tal umher und machen hin und wieder ein Nickerchen auf einer der Wiesen. Wir sind die einzigen ausländischen Touristen im Ort. Vor dem Kaminfeuer in unserer Unterkunft schlafen wir abends wie hypnotisiert ein. Rakel gefiel es so gut in dieser Gegend, dass sie zwei weitere Tage dort verweilen wollte. Ich hingegen hatte nunmehr nur noch 8 Tage zur Verfuegung und wollte zumindest Kuelap besichtigen. Ein Mann aus dem Dorf schaffte mich nach Cajamarca. Geschokt von dem Chaos und dem Schmutz dieser Stadt wollte ich zugleich weiter – weiter nach Celendin.