Frank Seibel verfasste einen gelungenen Artikel mit der Überschrift „Die vergessliche Stadt“ in der heutigen Ausgabe der Sächsischen Zeitung. Er nimmt Anstoß an der laufenden Diskussion um die Baracke zwischen Kirche und Synagoge und regt dabei die Entwicklung einer Erinnerungskultur in Bezug auf die beiden überwundenen Diktaturen an. Read More
Category: Shoa
Rechtes Land überblicken
Delikte rechtsextremer Gruppen werden oftmals nur vereinzelt wahrgenommen. Das gesamte Ausmaß an Gewalttaten, Volksverhetzung, Aufmärschen und Übergriffen lässt sich nur schwer überblicken. Viele der Meldungen erscheinen nur in regionalen Zeitungen oder in einschlägigen Foren/Blogs/Portalen. Politikern kommt das oft gelegen, um die Existenz der Rechten Szene klein zu reden.
Der Versuch all diese Vorgänge auf lokaler Ebenen aufzuzeichnen und auf interaktiven Karten zu verankern unternehmen Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum e.V.
Diese Form des Datenjournalismus ist längst überfällig. Die Oberlausitz ist dahingehend alles andere als ein weißer Fleck auf der Landkarte der rechtsextremen Auswüchse. So manch ein Bürgermeister wird beim Anblick der fertigen Karte in Erklärungsnöte geraten. An dieser Stelle sie noch mal auf die Chronik rechter Gewalt von AMAL verwiesen.
Nachtrag zum Gesprächsforum zum Umgang mit der Baracke auf dem Gelände der Heilig-Kreuz-Kirche
Am gestrigen Abend fanden sich gut 100 Görlitzer im Schlesischen Museum zusammen, um über den Umgang mit der kürzlich öffentlich gewordenen Baracke des KZ-Außenlager Görlitz zu diskutieren. Die Zeit zur Diskussion ergab sich nach insgesamt sieben Redebeiträgen.
- Niels Seidel, Buchautor
- Norbert Joklitschke, Pfarrer Heilig Kreuz Gemeinde
- Michael Wieler, Bürgermeister
- Dr. Bert Pampel, Stiftung Sächsischer Gedenkstätten
- Kathrin Krahl, Heinrich Böll Stiftung
- Evelyn Mühle, Städtische Friedhofsverwaltung Görlitz
- Alex Jakobowitz, Vorstandsmitglied des Förderkreises Görlitzer Synagoge
Der Tenor der Veranstaltung war durch die Zweifel an der Authentizität der Baracke gekennzeichnet. Aktuell gibt es nur zwei mündliche Aussagen von Personen, die am Aufbau der Baracke hinter der Pfarrei Hl.-Kreuz dabei gewesen sind. Schriftliche Dokumente liegen noch nicht vor. Pfarrer Joklitschke gab Bürgermeister Wieler die Hausaufgabe in den städtischen Verwaltungsarchiven nach Bauakten, Transportaufträgen und dergleichen zu recherchieren. Das dies in den letzten fünf Jahren nach Bekanntwerden innerhalb der Unteren Denkmalschutzbehörde noch nicht geschehen ist mag verwundern.
Gesprächsforum über die KZ-Baracke im Schlesischen Museum zu Görlitz
Am 9. April findet im Schlesischen Museum eine Diskussionsforum über die Zukunft der kürzlich öffentlich gewordenen Baracke des KZ Außenlager Görlitz statt. Unter dem Titel „Denkwürdiges Erbe – Wie weiter mit der Sanitätsbaracke aus dem KZ Biesnitzer Grund?“ lädt der Förderkreis Görlitzer Synagoge zu der Veranstaltung ein.
KZ-Baracke neben der Heilig-Kreuz-Kirche Görlitz
Heute wurde öffentlich, was Albrecht Goetze und mich schon ein gutes halbes Jahr bewegt: ein vergessener Erinnerungsort.
Der vergessene Erinnerungsort findet sich neben der Synagoge. Es ist ein unscheinbarer, verfallender, südseitig besprayter Schuppen. Nur wenigen Görlitzern ist bekannt, welches Geheimnis der Schuppen in sich trägt und an welchem Ort er bis 1945 stand. Es handelt sich um die ehemalige Krankenbaracke des Lagers, die 1949/50 durch ihre transportable Architektur im Biesnitzer Grund abgebaut und hinter der Pfarrei der Heilig-Kreuz-Kirche zur Nutzung als Jugendhaus wieder aufgebaut wurde. Über 67 Jahre trotze die Baracke dem Verfall und überstand sogar einen Baumschlag während des Orkans „Kyrill“ im Jahre 2007. Die Baufälligkeit ist unübersehbar und bisweilen auch durch einen Schutz als Denkmal im Ensemble der Heilig-Kreuz-Kirche kaum aufgehalten.
Nach 67 Jahren Durchhalten scheint dieses Bauwerk wie ein einzigartiges Geschenk an das historische Gedächtnis der Stadt. Die Baracke ist das wahrscheinlich einziger materieller Zeugnis des Lagersystems und vielleicht sogar die einzige erhaltene Baracke dieser Art in ganz Sachsen.

Die Sanitätsbaracke wurde 1949/50 auf dem Geländer der Heilig-Kreuz-Kirche auf ein neues Fundament gesetzt und unter dem Namen »Don Bosco« als Gemeinde- und Jugendhaus geweiht. Bis in die 1970er Jahre hinein fanden in der Baracke verschiedene Gemeindeveranstaltungen statt, so zum Beispiel Faschingsabende, Jugendblasorchester und Kommunionsunterricht. Als die beiden Kaplane und auch der Küster in den 1970er Jahren abgezogen wurden und ihre beiden Wohnungen in der Pfarrei frei wurden, hielt man die Veranstaltungen fortan nicht mehr in der Baracke, sondern in der Pfarrei ab. Seit dem wird die Baracke als Abstellraum, u.a. für Gartengeräte genutzt.
Derzeit befindet sich die Baracke in einem sehr baufälligen Zustand. Durch den zerstörten Giebel auf der Seite der Synagoge regnet und schneit es herein. Die Decke und Dieleung sind morsch. Überreste einer Feuerstelle zeugen davon, wie jemanden darin Schutz und Obdach suchte.
- Blick auf die Baracke mit dem baufälligen Giebel. Im Hintergrund ist das Pfarrhaus zu sehen.

Im Ensemble der Heiligkreuzkirche und der Synagoge steht die Baracke heute unter Bestandsschutz, bestätigte mir Frau Junge von der Unteren Denkmalschutzbehörde Görlitz. Somit kann das Gebäude nicht abgerissen werden. Erstaunlicher Weise ist die Existenz der Baracke der Behörde seit einigen Jahren bekannt. Niemand geringeres als Peter Mitsching, der Leiter der Görlitzer Denkmalschutzbehörde, brachte den Stein ins Rollen.
Bei einer Check-Übergabe für die weitere Sanierung der Synagoge fragte Michael Kretschmer, MdB, was da für ein unschöner Schuppe zwischen Synagoge und Kirche stehe. Herr Mitsching antworte, was bislang noch nicht öffentlich bekannt war. Herr Kretschmer trug die Antwort weiter. Der Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde, Norbert Joklitschke, erfuhr erst durch unserem Besuch im Sommer 2012 von der Geschichte des Gebäudes hinter seinem Pfarrhaus. Durch uns erfuhr auch die Sächsische Stiftung für Gedenkstätten von diesem sensationellen Erinnerungsort.

Vision
Während es bis vor Kurzem noch schien, als wenn eine Erinnerungskultur in Bezug auf das KZ-Außenlager Görlitz am ehesten im WWW seinen Platz fände, gibt es nun Hoffnung auf eine realen Repräsentanz im Herzen der Stadt. Mit der Wiederentdeckung der ehemaligen Krankenbaracke könnte schon bald in Nachbarschaft zur Synagoge nach Wroclawer Vorbild ein Quartier der Toleranz als Zentrum der Dokumentations- und Erinnerungsarbeit entstehen und den Weg für eine Gedenkstätte bahnen. Ob dies gelingen kann hängt nun davon ab, ob der Verfall schnell genug aufgehalten werden kann.
Weitere Links:
- Die Baracke wurde wahrscheinlich durch Christoph & Unmack Werke in Niesky produziert. Das Unternehmen leistete seit den 1882 Pionierarbeit in der Entwicklung standardisierter, fabrikmäßig gefertigten Holzhäuser. Zwischen 1939 und 1945 stellte das Unternehmen in seiner Holzbausparte fast ausschließlich Baracken her. Vgl. Rug, W. (2006). Lebensdauer von Holzhäusern am Beispiel von Christoph & Unmack AG, Niesky. Wissenschaftliche Berichte
Hochschule Zittau/ Görlitz, Heft 90 (III. Umgebindehaus- Kolloquium, 21/22. September
2006). - Ein weiteres Buch: Baracken als industrielle Bauform der Christoph & Unmack AG Niesky
- Niels Seidel: Die KZ-Außenlager Görlitz und Rennersdorf (2. Auflage)
Wandzeichen in den Zittwerken
Über die ehemaligen Zittwerke und die dortige Filiale des Konzentrationslager Groß-Rosen hatte ich schon einmal berichtet. Der Forschungsstand zum Komplex der Zittwerke einschließlich aller dort gewesenen Lager ist nur teilweise zufriedenstellend.
In einem Kaserenengebäude des riesigen Areals waren 1944/45 KZ-Häftlinge untergebracht. Das Gebäude ist total ruiniert. Das Dach ist halb offen, Fenster gibt es keine und das Mauerwerk bröckelt. Im Keller haben sich Schatzsucher an Schächten und ähnlichem versucht.
In zwei Räumen finden sich Schriftzüge in Fraktal, dazu einige Zeichnungen und Verzierungen. Die Zeichnungen lassen sich zeitlich nicht eindeutig eingrenzen. Die Schriftart deutet auf eine Zeit vor 1945 hin. Der Spruch “O Heimat, wie bist du schön” hat wenig Bezug zu den dort festgehaltenen Juden oder Zwangsarbeiter. Der folgende Spruch könnte eher im Zusammenhang mit einem KZ stehen:
Wenn das haus einmal eingefallen sein wird, sind auch solchen Spuren verwischt.
DataViz: Altersstruktur der auf dem Jüdischen Friedhof Görlitz beigesetzten KZ-Häftlinge
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen mich weiter in R einzuarbeiten, doch so manches webbasiertes Visualisierungswerkzeug macht auf den ersten Klick mehr her. Ausgehend von einem Datensatz der Friedhofsverwaltung Görlitz über die 1944 und 1945 im dortigen Krematorium eingeäscherten Häftlinge der KZ-Außenlager Görlitz, Bautzen, Niesky und Hartmannsdorf habe ich die Lager mit dem erreichten Lebensalter als Parallel Set dargestellt.
Parallel Sets bieten sich insbesondere dann an, wenn mehrere Fraktionen von Mengen betrachtet werden sollen. Ergänze ließe sich das Bild beispielsweise um den Monat, in dem der Gefangene ums Leben kam:
Hieraus kann man gut erkennen, in welchen Monaten Gefangene aus welchen Lagern zu Tode kamen. Das Lebensalter der Nieskyer Hartmannsdorfer Häftlinge fast ausschließlich oberhalb von 36 Jahren. Im Januar 1945 starben im Görlitzer KZ-Lager also vermehrt Häftlinge jüngeren Alters. Aus dieser Darstellungsform ergeben sich also eine ganze Reihe von Ableitungen und Fragestellungen, die mir vorher anhand der Listen und simplen 2D-Graphen nicht bewusst geworden sind.