Piraten: Futuristen contra Utopisten?

Jörg Blumtrit glaub die zwei gegensätzliche Strömungen in der Piratenpartei erkannt zu haben: die Utopisten und Futuristen.

Utopisten sind Menschen, die an einen zukünftigen Zustand der Gesellschaft glauben , für den sie arbeiten und kämpfen.

Futuristen sehen das Gute in der neuen Technologie. Futurismus bezeichnet zunächst eine Bewegung, die vor 100 Jahren von Italien ausging. Die Futuristen damals erkannten die Segnungen, die die Menschheit aus der industriellen Zivilisation erhalten könnte – vor allem aus der relativ neuen Elektrotechnik und der Motorisierung. Aber die Futuristen sahen, dass die alte Welt, die dekadenten Monachrien, mit ihrer restriktiven Moral die Entfaltung dieser Industriekultur nach Kräften ausbremsten – völlig zu Recht mussten die alten Machthaber doch fürchten, dass mit der völligen Demokratisierung der Energieversorgung (und damit der Produktionsmittel), ihr Machtanspruch “von Gottes Gnaden” ebenso überflüssig werden würde, wie die Segelschiffe oder die Pferdekutschen.

Beim Versuch mich als Futuristen zu sehen, kann ich meine Bedenken bezüglich Technikfolgen (Datensammeln, Datenmonopole, Datenschutz, usw.) leider nicht unterbringen. Als Futurist müsste ich jedem technischem Hype folgen und die Konsequenzen für Gesellschaft und für mich privat ignorieren. Constanze Kurz bezeichnete jene, die die Kontrolle ihrer datenbasierten Identität für aussichtslos erklären (Post Privacy) kurzum als Spacken  (Plural: Spackeria). Blumtrits Futoristen sind vielleicht identisch mit den Spacken? Der Glaube an eine Post Privacy Gesellschaft halte ich jedoch für eine Dystopie statt einer Utopie. Post Privacy als Anti-Utopie enthält wesentliche Züge totalitärer Systeme wie sie Hanna Arendt definiert.

Blumtrit sieht die Konflikte zwischen beiden Lagern jedenfalls genau dann entstehen, wenn ethische oder politische Fragen aufkommen, in dem beispielsweise die Utopisten mit Themen wie Umweltschutz, Feminismus und Egalitarismus bei den Futuristen auf taube Ohren stoßen.  Es entstehen Gräben, die im Shitstorm der Mailinglisten einen Ausdruck finden.

Das eigentliche Problem kann man meiner Meinung nach auf den Unterschied zwischen Form und Inhalt reduzieren. Man kann sich in der intern wie externen gerichteten Diskussion der Piraten relativ schnell auf die Form, nicht jedoch auf den Inhalt politischer Forderungen verständigen können. Während die Form die Wege der Umsetzung meint, versteht man unter Inhalt das, was es eigentlich umzusetzen gilt. Dieses formalisierte Denken kommt sicher nicht von ungefähr. Informatiker, System Administratoren oder Techniker im Allgemeinen denken von Berufswegen in Formalismen und sind versucht ihre Denke in die politische Praxis zu überführen. Schlagworte in Bezug auf die Form sind: Transparenz, Offenheit/OpenEverything, Mitbestimmung, …

Der Konsens besteht also hinsichtlich der Form, die Divergenz hinsichtlich der Inhalte. Dies zu ändern ist eine Herausforderung. Vielleicht ist die Rolle Piraten in den Parlamenten deshalb eher in der der politischen/demokratischen Administration zu suchen. Diese Rolle bestünde in der Vermittlung von Technikverständnis und dem Aufzeigen adäquater, netzbasierter Formen demokratischen Handelns. Dies allein mag nicht genügen, um einen politischen Willen zu formulieren. Zumal jede andere Partei eine Utopie aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert für sich behaupten (und des öfteren vergessen) kann, bleibt unklar, ob es heute noch Utopien gibt. Wechselnde Technologien und kürzer werdende Produktzyklen lassen vermuten, dass die Zeit zwischen Zukunftsvision und Verwirklichung der selben immer kürzer zu werden scheint. Die gestern entwickelte Utopie hat morgen schon jemand ausprobiert und gelebt. Die Frage lautet daher vielmehr, welche Utopie eine gesellschaftliche Resonanz erzeugen vermag oder welche Dystopie wir in einem freiheitlich demokratischen Land nicht über uns hereinbrechen lassen wollen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *