“John the jodeling bus driver…” (Teil I)

So oder so ähnlich musste es sich angehört haben, als das kanadische Fernsehsender über John, den singenden, pfeifenden Busfahrer, berichtete. “Das war in den guten alten Zeiten”, sagt er. Heut sitzt er mit seinen 69 Jahren neben mir am Frühstückstisch in der Hasienda de la ‘Laguna de los Condores’. Neben ihm eine junge Peruanerin, die ihn ganz selbstverständlich bedient und umsorgt. Das machen peruanische Frauen immer so, doch die Art ihrer Beziehung scheint mir weniger natürlich, als erkauft. Mir soll’s egal sein, denn sie wirkt alt und intelligent genug, um zu wissen, was sie tut. Sven und Mindi setzen sich zu ihnen an den Tisch. John hatte sie in seinem Mietwagen von Celendin hierher mitgenommen und entschuldigte sich zugleich mich nicht mit nach Kuelap nehmen zu können, ohne dass ich ihn gefragt habe. Sein weich gefederter, tiefliegender Wagen war ohnehin für die hiesigen Pisten überladen und arg in Mitleidenschaft gezogen (Beulen, Kratzer, …). Trotzdem nimmt er mich mit ins Museum von Leymebamba.

Ursprünglich wollte ich, nach Erich Kästners Devise*, mir Museen ersparen und statt dessen das Leben als  solches betrachten; doch wenn mir schon keine Zeit bleibt zur ‘Laguna de los Condores’ zu wandern, wollte ich mir zumindest die dort gefundenen Mumien ansehen. Seit dem Jahr 2000 gibt es das Museum in Leymebamba. Finanziert durch das österreichische Bildungsministerium, beherbergt es heute 200 Chachapoya-Inka Mumien der Nekropole an der Laguna de los Cóndores. Hirten, auf der Suche nach Gold, machten diesen sensationellen Fund in den 1990er Jahren. Bekannt wurde dies erst, als die Hirten und ihre Angestellten über den Verkauf der gefundenen Grabbeigaben in Streit gerieten und sich gegenseitig anzeigten. Das Museum ist sowohl archäologisch, als auch pädagogisch sehr ausgewogen gestaltet. Aufgrund der Abgeschiedenheit erreichen diesen Ort jedoch kaum mehr als 10 bis 30 Personen täglich; während der Regenzeit kommt niemand.

Anschliessend wollte ich mit dem Taxi nach Kuelap fahren, doch John meinte ich hätte nicht viel Gepäck und ich  könne deshalb auch in seinem Wagen mitfahren. Mein 85 Kilo drückten dann wahrscheinlich doch etwas zu sehr auf das Hinterrad. Reifenwechsel und weiter gehts nach Tingo zum Mittagessen. Ehe wir mal soweit waren und das nächst gelegene Dorf neben Kuelap erreicht hatten, verging so einige Zeit. Seit August haben Archäologen die Grabungsarbeiten in Kuelap wieder aufgenommen und fast alle Unterkünfte in Maria (=Dorf) belegt. Wir hatten Glück noch drei einfache Zimmer zu finden. Der Tourismus um Kuelap entwickelt sich langsam und so verwundert es nicht, dass ich in Kuelaps einzigen Gasthaus für ganze 12 Soles (3 Euro!) fünf Leuten ein Abendessen samt Getränken spendieren konnte. Bemerkenswert ist der schöne Dorfplatz nebst Kirche in Maria. Im besagten Gasthaus kam ich mit einer Engländerin ins Gespräch, die für fünf Tage bei den Grabungsarbeiten in Kuelap half und mich mit dem Ausgrabungsleiter Alfredo ins Gespräch brachte. Mich interessierte, in wie weit Informatiker bei der interdisplinären Arbeit von Archäologen, Geologen, Historikern und Restauratoren hilfreich sein könnten. Alfredo deutete an, dass ein enormer Bedarf an Datenbankspezialisten bestehe. Keine besonders reizvolle Aufgabe, muss ich zugeben, aber für ein Kurzzeitpraktikum sicher eine interessante Erfahrung. Er besorgte uns eine Flasche hochprozentigen Aqua Adiente mit Grenadiña und John’s britischer Humor kam auf Hochtouren. Kein Auge blieb trocken, als er von seinen Chicks & Chicken-Buisness in Mexiko erzählte. Unvergesslich auch die Momente, in denen er mit nicht existierenden Personen sprach oder während der Fahrt ein Liedchen sang oder jodelte.

* Toren bereisen in fremden Ländern die Museen, Weise gehen in die Tavernen (Erich Kästner).

El viaje en el camiñon

Ein Mann veriet mir, dass ich auf dem Markt einen Kartoffellaster finden würde, der auf direktem Wege nach Leymebamba fährt. Eigentlich hoffte ich ja auf eine Busverbindung, doch eine solche gibt es nur sonntags und dienstags. Blöd, dass heute Monatg ist und auf dem Markt kein Laster weit und breit verkehrt. Am Rondell sollte, wie jeden Morgen, irgendwann ein LKW abfahren. Ich meine jene LKWs, die ausschliesslich Personen und deren Waren transportieren – sie verkehren sogar in den Randbezirken Limas. Ich saß nun mit Sack und Pack am Kreisverkehr und wartete auf meinen Laster. Eine gute halbe Stunde später rollte ein 7,5-Tonner an. Zugleich sicherte ich mir den besten Platz auf dem Führerhaus. Während der LKW noch drei Runden durch die Stadt drehte, um Leute einzusammeln, versuchte ich es mir auf meinem Schlafsack bequem zu machen. Und es dauerte nicht lang, da saß die kleine Isabela neben mir. Mit grossen Augen und etwas schüchtern starrte sie mich an. Mein Bart musste wohl sehr eigenartig auf sie gewirkt haben.

Auf der Ladefläche standen nun dicht geträngt 30 Leute. Ein dudelndes Kofferadio rauschte im Duett mit dem rörigen Dieselmoter. Der Wagen schaukelt und wippt auf den schlechten Bergpisten. Drum herum staubt es. Äste und Zweige peitschen an mir vorbei. Isabela lächelt. Wir unterhalten uns ein bisschen, bis ein Junge hinaufsteigt und ihr stolz wie ein Macho von seinen Kühen und Pferden erzählt. An einer Weggabelung halten wir in einem ‘Restaurant’. Ich schau gar nicht erst, was es zu essen gibt und schlafe statt dessen bis mich die Kinder wecken um mir Tiere (Loros, Affen, Condores) und Pflanzen zu zeigen.

Natürlich denken sie, wie alle auf dem LKW, ich sei ein us-amerikanischer Gringo. Als ich ihnen sage, dass ‘Camiñon’ im Amerikanischen ‘Truck’ heisst, freuen sie sich riesig und wiederholen das Wort immer und immer wieder. Am Ende der Fahrt wissen sie, wie man bis 40 zählt und sich vorstellt. Bei der zweiten Reifenpanne geht Isabela mit ihrer Mutter in ihr Dorf; nahe Balsas. Ihr Lächeln schwindet, kurze Zeit später ist sie mit einem grossen Beutel auf dem Rücken im dichten Urwaldgrün des Rio-Mariñon verschwunden. Auf dem LKW sitzen scheinbar nur noch Leute aus ein und demselben Dorf. Ein Grauhaar mit goldener Armbanduhr konfrontiert mich aus dem Nichts mit europäischer Wirtschaftspolitik und den Folgen von Globalisierung. Ich kann ihm kaum folgen und noch weniger argumentieren. Er ist gebildet und möchte, dass ich ihm zustimme. Hundert Kurven weiter erscheint endlich das ersehnte Dorf meiner Mitreisenden. Mit einem lautstarken ‘Ciao Gringo’ verabschieden sie sich im Chor. Ziemlich genau zum Sonnenuntergang erreichen wir Barro Negro – den Pass auf 3800m Höhe. Von nun an wird es kalt und dunkel. Die beiden Kinder des Lastwagenfahrers schlafen und spielen auf der Ladefläche mit ihrem kleinen Hund. Dem armen Tier kam die Natur und bescherrte mir eine Pfütze um die Schuhsohlen. Gegen 9 Uhr abends erreichen wir nach 11-Stündiger Fahrt Leymembamba.