Erdbeben nahe Lima

Ich war im Begriff mit Elisa nach Hause zu fahren, doch plötzlich wurde mir etwas schwindelig. Es war mir, als hätte ich einen Flashback vom peruanischen Skunk, den mir Galahad tagszuvor rollte. Die Autos auf dem Parkplatz wackelten, der Car-Port schwankte und über dem Asphalt breiteten sich Wellen aus. Ich traute mich kaum Elisa zu fragen, was hier los ist und staunte stillschweigend über meine scheinbaren Halluzinationen. Plötzlich begann Elisa laut zu jammern und ich verstand, dass es ein Erdbeben ist. Gute zwei Minuten hielt es an. Stärke 7.9 auf der Richterskala (Im Zentrum des Bebens). Auf der Mercalliskala hatte das Beben in Lima eine gefühlte Stärke von 5 bis 6. Das Epizentrum lagt ca. 120km südlich von Lima, nahe der Stadt Ica, und 60km westlich im Pazifik. Die Erschütterungen waren selbst in Cajamarca und in Kolumbien zu spüren. Weite Teile von el Callao (mein Arbeitsort) und Lima lagen im Dunklen, da die Strommasten den Schwingungen nicht stand hielten. Das Handy- und Festnetz brach schlagartig zusammen. In Molina, einem besonders gefährdeten Stadtteil Limas, brach das Dach der dortigen Jura-Fakultät zusammen. Viele Häuser weisen Risse auf. Besonders schlimm sind die Auswirkungen im Department von Ica. Die Städte Ica, Pisco und Chincha sind zu über 50% zerstört. Betroffen sind hauptsächlich historische Bauten (Kirchen) und Häuser aus Ziegeln bzw. Lehmstein. Auch das Haus der Eltern meines Chefs ist in Ica eingestürzt. Das letzte grosse Erdbeben in Peru war im Jahr 2001. Damals starben relativ wenig Menschen (88), da sich die meisten Leute an jenem Sonntag Nachmittag im Freien befanden. Wesentlich verherrender waren die Beben der Jahre 1940 und 1970. Bei letzteren kam es zu Erdrutschen, Überflutungen und einer heftigen Tzunami. Die Stadt Yungay, nahe Huaraz, wurde damals vollständig von einer Schlammlawine bedeckt, nachdem sich eine riesige Eisscholle von einem Gletscher gelöst hatte und das Wasser aus einer Lagune ins Tal drückte. Nach dem gestrigen Beben wurden bislang 377 Tote geborgen, wobei sich diese Zahl nur aus den Opfern in den grösseren Städten berechnet. Unklar ist die Situation in den Dörfern. Weiterhin gibt es in den betroffenen Gebieten im Department von Ica kein Strom und Wasser. Der Teil Miraflores, in dem ich wohne, gehört aufgrund seiner Bodenbeschaffenheit zu den erdbebensichersten der Stadt. Besonders gefährded ist, neben dem erwähnten Stadtteil Molina, auch der Hafen von el Callao.

Ironischer Weise hatte mich gestern morgen, also vor den Beben, mein Kumpel Miles zu einem Vortrag ueber “Erdbebensicherheit in Lima” (Earthquake Safty Prevention) eingeladen. Miles hätte den Vortrag des Erdbebenexperten Anibal Paredes nicht besser timen können, denn 10 Minuten vor Beginn des Vortrags begann die Erde zu beben. Einige schwächere Nachbeben während des Vortrags, verdeutlichten die Notwendigkeit von Vorsorgemaßnahmen. Miles bewohnt und managed des örtlichen SAE Club Hauses, wo der Vortrag stattfand. Zur Nachbereitung des Erdebebens holte Anibal eine feine Flasche Pisco aus seiner Tasche und als diese leer war, sorgte Miles für Nachschub. Wir plauderten bis in die Nacht über Richterskalen, Inka-Highways und obskure Russen, die hier Waffen kaufen.

Das traute Heim?

Es ist bescheiden und ich bemühe mich auch nicht, es schöner zu machen, damit ich nicht zu viel Zeit in der Bude verbringe, um statt dessen auf Tour zu gehen. Ich wohne mit Sir Galahad zusammen. Er singt zwar manchmal etwas schräg und hat’n Fabel für 80er-Mucke, ist aber dafür ständig gut drauf und lebt sorgenfrei von heut auf morgen. In der Küche schaut er immer, dass auch ja ein paar Reste im Tiegel bleiben und sich dadurch die Luft verbessert. Manchmal erreicht er den selben Effekt auch mit einem Wischlappen. Vor kurzem hat er mir gesagt, wie man der Dusche richtig heißes Wasser entlockt. Ich habe wirklich über einen Monat kalt geduscht. Trotzem bleiben mir (unfreiwillige) kalte Duschen erhalten, die bei Regen durch’s Wellblechdach über’m Waschbecken herabtröpfeln. Und da soll noch mal jemand sagen, in Lima würde es nicht regnen.

Sack statt Tüte

Gediegen und überaus entspannt liege ich mit einem Fläschchen Rotwein in meinem dustren Bette und sinniere über die vergangene Woche und ihr anstehendes Ende. Die vergangenen Tagen waren gekrönt durch eine elegante Cocktailparty, die meine Firma, anlässlich ihres 33-Jährigen Bestehens und der bevorstehenden Aktienemission veranstaltete. Unter den 250 geladenen Gästen fanden sich ausschließlich Leute mit Rang und Namen aus den Führungsetagen und Ministerien Limas ein. Am Fusse einer Inkapyramide versammelte sich die feine, aber dennoch ausgelassene Gesellschaft vor dem Anglitz des durch Licht und Animationen mystisch inszenierten Zinks.

Der Ort des Geschehens, ein paar Tage später.

Im Hintergrund brausten seichte, aber recht feine ethno-elektronische Beats. Und so funkelten die Zinkprodukte inmitten der köstlichen Bufetberge, umgeben von der rauschenden Schickaria – gehüllt in edlem Tuche, doch gleichsam wie ein Sack mit Krawatte verschnürrt. Von Snack zu Snack – hinzu ein Pisco Sour und mehr von Jonny Walker’s Goldsaft – lies man sich kreisen und tauschte fleißig jene Stücke Papier, die zeigen, WO man WAS ist. Auch ich ließ mich treiben und genoß das familiäre Schauspiel, als dessen Akteur ich mehr und mehr aufzugehen vermochte. Beflügelt durch die vorbeiziehenden Drinks erheiterte sich das Geschehen. Zinsa’s Direktorium erstrahlte vor Freude über die gelungene Veranstaltung. Ich fühlte mich äußert wohl und gut versorgt, wenngleich mir die Rolle als Repräsentant und vielmals herumgereichtes Aushängeschild eines “Empleado de Alemania” (Angestellter aus DLand) nicht sonderlich behagte. Meine Kollegen stürzten sich in meine Gespräche, um gegenüber meinen Gesprächspartnern die Unternehmungen Zinsas zu preisen und mit gebührenden Lob zu versehen. Verdientermaßen, wie ich finde. Zinsa hat während der letzten 3 Jahre seine Mitarbeiterzahl nahezu verdoppelt und ist unter den peruanischen Exporteuren eben mal von Platz 124 auf Numero 34 vorgerückt. Zinsa hat in den ersten fünf Monaten dieses Jahres berieits $ 30 Millionen umgesetzt und $ 2 Mille davongetragen. Ich spiele bereits mit dem Gedanken mir Praktikantengehalt durch den Kauf von Zinsa-Papieren ein spekulativ zu erwirtschaften. Mittlerweile habe ich mich auch mit meinem Job arrangiert und genieße die Zeit des freien Arbeitens. Idealerweise habe ich drei, recht vage Aufgabenstellungen, die ich nach meinem Ermessen intensivieren kann. Die IT-Abteilung lässt größtenteils Aufgaben von externen Unternehmen verrichten, so dass ich bei der Überholung der Webseite beispielsweise ausschließlich den Istzustand erfasse und entsprechende Anforderungen und Qualitätsstandards definiere. Eine weitere Aufgabe betrifft die Planung und Entwicklung eines Intranets, was ich angesichts der Integration von Office-tauglichen Anwendungen durchaus als eine Herausforderung ansehe – vor allem weil es darum geht, herauszufinden welche Anwendungen sinnvoll in der innerbetrieblichen Kommunikation eingesetzt werden können. Natürlich werde ich auf bestehenden Opensource-Lösungen zurückgreifen, aber auch eigene Module entwickeln. Der dritte Eckpfeiler meiner Arbeit besteht in der interkulturellen Vermittlung dessen, was stereotypisch als deutsches Arbeits- und Umweltbewußtsein angesehen wird. Die Unterschiede sind schon enorm – vor allem, was fachliches Interesse, Wissbegierde und Ansätze von Kreativität bzw. freiem Denken betrifft. Ich genieße weitgehende Freiheiten und arbeite vollkommen selbstständig ohne dass mich täglich jemand fragt was ich gerade im Sinn habe. Aber dennoch bleibt’s beim Sack(o), statt der guten alten Tüte. Abschließend noch eine Reihe Bilder von Miraflores – also jenem Stadtteil Limas, in dem ich wohne und mehr oder minder auch zu leben beginne:bild

Schönes Mobil in einer Nebenstraße.bild

Avenida Pardo – das Zentrum Miraflores.bild

Ein Einkaufszentrum in den Klippen Miraflores.bild

Die Wellen, in die ich mich stürzen möchte, sobald es etwas wärmer wird.bild

Achja, das ist mein Zimmer durch dessen Fenster ich so prima in den Genuß eines schnellen Internets komme. Heut habe ich übrigens das erste mal die Küche des Arpartments betreten, weil ich dachte dort ein Glas für den Wein zu finden. Fehlanzeige – zwischen den stinkigen Töpfen gibt’s keine Gläser oder Tassen. Das nervt, denn so richtig heimlig ist mir diese Behausung nicht.

Die ersten Eindrücke von Lima

Es ist meine erste Reise, auf der mich der berüchtigte australische Backpacker-Guide “Lonley Planet” begleitet. Die europäischen Ausgaben dieser Serie habe ich stets wegen ihrer Oberflächlichkeit verabscheut. Zudem verstehe ich jetzt, warum all die Amerikaner und Australier, die ich in Polen und Rumänien traf, so viel Zeit im Hostel verbrachten, anstatt auf Tour zu gehen. Liest man sich die Absätze “Danger and Annoyances” durch, möchte man am liebsten wieder heim fahren. Entsprechend paranoid habe ich das eingezäumte Hostel verlassen, um mir beim nächst besten Geldautomaten ein paar Soles (1€ = 4,30 Soles) zu verschaffen. Meine Kleidung empfand ich nicht gerade angepasst, sondern eher auffällig im Vergleich zu den entweder verwaschenen oder dezent-geschäftlich gekleideten Einheimischen. In einem Monat werde ich mich bestimmt wie ein Kamelion durch die Straßen bewegen können. Doch jetzt brauchte ich erst einmal Kleingeld für’s Telefon, doch der Geldautomat spukt nur Papier aus, somit war ich gezwungen ein Lokal aufzusuchen. Ein Capuccino sollte es sein. Ich dachte es sei einfach: Uno Capuccino par favor, doch die Frau am Schalter stellte zu viele Fragen. Peinlicher weise verstand ich nicht mal die Frage nach meinem Namen. Ganz lässig schnappte ich mir zum Capuccino eine Tageszeitung und rätselte fleißig, was da geschrieben stand. Danach ging ich schleunigst wieder ins Hostel und stürzte mich, ein paar E-Mails wegen, auf den atemberaubend schnellen Rechner. Im Obergeschoss gab es ein offenes WLAN, wie mir mein Handy mitteilte. Leider hatte ich meine Laptop schon auf dem Flug ausgesaugt und mußte auf das im Rucksack verstaute Ladegerät warten. Das Surfen per Handy taugt nur für ein paar Nachrichten. Der Hunger trieb mich dann doch noch mal nach draußen. Ich folgte der Avenida Jorge Chavez bis zu Klippen von Miraflores. Auf einem kleinem Grünstreifen entlang der Klippen säumten sich einige Palmen, ein Leuchtturm bot sich mir als Landmarke nebst der vielen Hochhäuser im Hintergrund. Das Meer schlug seine Wogen und trug dutzende  Surfer auf den Wellen umher. In westlicher Manier liefen sich einige Leute die Kilos vom Bauch. Ich turnte eine Weile an den stehenden Reck- und Barrenstangen, die dort aller Meter zu finden waren, und erfreute mich lange Zeit einer Lektüre, die zeimlich gut zu meiner Unternehmung passte: Der Alchemist von Paolo Coelho.

Madrid – Bogota – Lima

Der Flieger hatte gute eineinhalb Stunden Verspätung, aber wenn man erst einmal fliegt vergeht die Zeit bekanntlich wie im Fluge. Ich saß vor dem Notausgang – neben mir ein etwa gleichaltriger Spanier. Der werten Frau Stewardess war es jedoch nicht recht, einen dem Spanisch unkundigen dort sitzen zu haben – wie sollte ich im Notfall den Fluggästen klar machen, wie sie am Besten auf die Tragflächen springen? Mein Nebenmann versicherte seine Unterstützung und ich durfte meinen geräumigen Platz behalten. Homez – so der Name des Spaniers – wollte als “Environmental Scientist” ein ländliches Entwicklungshilfeprojekt in Ecuador unterstützen. Wir unterhielten uns ausgezeichnet während des 10-Stündigen Fluges. Seinen Anschlussflug nach Quieto/Ecuador sollte nicht nicht mehr erreichen, somit war ihm eine Nacht in der kolumbianischen Haupstadt vergönnt. Mein Flieger nach Lima stand schon in den Startlöchern, so dass ich im Eiltempo einer Flughafenangestellten folgen musste, um die Maschine noch zu erwischen. Meinen Rucksack konnte, wie sich in Lima herausstellte, niemand so schnell nachreichen. Mittlerweile war es 1:30 Ortszeit, die europäische Nacht hatte ich überdauert und schlief nun getrost in Decken gehüllt auf drei Sitzen.

An der Gepäckrückgabe in Lima erwarten einen Männer in Uniform mit braunen Hosen und beschfarbenden Hemden, auf deren Schulter “SS” (Servicio Securidad) steht. Später erfahre ich, dass sich der Flughafen in privater Trägerschaft befindet. Über die Anteilseigner werd ich mich mal informieren. Avianca – meine Fluggesellschaft – hatte also meinen Rucksack in Kolumbien liegen lassen. Es folgt nur noch etwas Papierkram und dann entliess mich der “SS”-Mann ohne auch nur einen Blick auf mein Visum geworfen zu haben, in die Menge der schreienden Taxifahrer. Auf großen Schildern wurde mehrfach vor dieser gierigen Meute gewarnt. Zum Glück hatte mein Hostel einen Fahrer des verlässlichen Unternehmens TAXI GREEN bestellt, der mich mit meinem Namen begrüßte und zugleich zu seinem Wagen geleitete. Auch wenn sein Auto nicht so richtig gut fuhr, cheuffierte er mich sicher durch das bedrohlich wirkende Callao und die westlich anmutenden Stadtteile San Isidro und Miraflores zum gleichnamigen GUEST HOUSE hinterm Eisenzaun. Fast in völliger Dunkelheit lozte mich der ‘Nachtwächter’ durch dunkle Gänge in ebenso dunkle und muffige Räume, die er nur zögerlich erhellen wollte. Ich war schon irgendwie froh hinter Schloss und Riegel zu sitzen. Der Aufenthalsraum des Hostels hatte zwar kein Dach, aber wozu auch – in Lima regnet es nur einmal im Jahr.