Anleihen der Bauhaus-Pädagogik für die Lehre in der Informatik

Das Bauhaus steht bis heute als Symbol für Innovation, interdisziplinäres Arbeiten und praxisnahe Bildung. Die Methoden, die Walter Gropius und Hannes Meyer in den 1920er Jahren etablierten, könnten Impulse für die heutige universitäre Lehre geben – insbesondere in der Informatik. Ähnlich wie in der Architektur werden hier Artefakte gestaltet, die technische und soziale Anforderungen erfüllen müssen. Die Gründung des Bauhauses jährte sich 2019 zum 100. mal. Aus diesem Anlass hatte ich mir einige Bücher besorgt und Bauten von Bauhausarchitekten in Hagen, Bonn und Löbau angesehen. Ich wollte wissen, wie am Bauhaus gelehrt und gelernt wurde und fragte mich, wie diese Ansätze auf die heutige universitäre Lehre in der Informatik übertragen werden können.

Praxisorientiertes Lernen

Am Bauhaus war der Unterricht eng mit der Praxis verknüpft. Studierende begleiteten reale Bauprojekte von der Konzeption bis zur Fertigstellung, wie Meyer betonte: Richtiger Unterricht über Gestaltung ist nur im Zusammenhang mit der Praxis am Bau durchführbar (Oswalt, 2021, S. 145). Projekte wurden im internen Wettbewerb ausgeschrieben, und Studierende arbeiteten entweder im Rahmen von Praktika, Arbeitsverträgen oder Anstellungen in Meyers Architekturbüro an deren Umsetzung (Oswalt, 2021, S. 131–133). Älteren Semester wurde dabei auch die Bauleitung und Projrktleitung übertragen. Diese konsequente Orientierung an realen Aufgabenstellungen förderte nicht nur technische Fähigkeiten, sondern auch Eigenverantwortung und die finanzielle Unabhängigkeit der Lernenden (Oswalt, 2021, S. 141).

Für die Informatik könnte dies bedeuten, Studierende stärker in die Entwicklung realer Softwareprojekte einzubinden. Ähnlich wie am Bauhaus könnten Projektideen in internen Ausschreibungen präsentiert und in Gruppen umgesetzt werden. Solche Projekte könnten sich auf die Entwicklung von Anwendungen konzentrieren, die gesellschaftlichen Mehrwert bieten, etwa im Bereich nachhaltiger, inklusiver oder quelloffener Softwareentwicklung.

Vertikalen Brigaden: Lernen in Gruppen

Am Bauhaus arbeiteten Studierende in Gruppen, die je nach Interessengebiet zusammengestellt wurden. Diese Gruppen analysierten Beispiele, führten Vergleiche durch und präsentierten ihre Ergebnisse (Oswalt, 2021, S. 140). Besonders hervorzuheben sind die sogenannten „vertikalen Brigaden“, in denen Studierende unterschiedlichen Alters, Semesters und unterschiedlicher Spezialisierung (z.B. Weberei, …) gemeinsam lernten. Diese Zusammenarbeit förderte den Wissensaustausch und die Eigenverantwortung der Studierenden.

In der Informatik könnte ein ähnliches Konzept umgesetzt werden, indem Projektteams aus Bachelor-, Master- und Promotionsstudierenden gebildet werden. Diese alters- und erfahrungsübergreifenden Teams könnten nicht nur technische, sondern auch soziale Kompetenzen stärken. Die klare Anleitung durch Dozierende würde den Einstieg erleichtern.

Werkstattprinzip als didaktischer Ansatz

Das Bauhaus sah die Werkstatt nicht nur als physischen Ort, sondern als pädagogisches Prinzip: ein Raum für experimentelles, selbstgesteuertes und zielorientiertes Lernen. Meyer und Gropius verstanden Architektur – und damit auch den Lernprozess – als „Gestaltung von Lebensvorgängen“ (Oswalt, 2021, S. 140).

In der Informatik könnten Labore und virtuelle Arbeitsumgebungen als moderne Werkstätten dienen. Hier könnten Studierende frei experimentieren, Prototypen entwickeln und ihre Ergebnisse kontinuierlich reflektieren und verbessern. Lehrende würden dabei weniger als Wissensvermittler, sondern vielmehr als Berater agieren, die den Lernprozess begleiten und unterstützen.

Fokus auf den Menschen

Ein zentrales Anliegen der Bauhaus-Pädagogik war die Gestaltung für den Menschen. Dieser Ansatz betonte nicht nur ästhetische und funktionale Aspekte, sondern auch die soziale Verantwortung des Designs. Informatikprojekte könnten in ähnlicher Weise darauf abzielen, die gesellschaftliche Relevanz der entwickelten Artefakte zu berücksichtigen. Dies könnte durch Projekte realisiert werden, die beispielsweise Barrierefreiheit, Usability, User Experience, oder soziale Inklusion adressieren.

Fazit: Inspiration für die Informatik-Lehre

Die Bauhaus-Pädagogik bietet wertvolle Anregungen für die universitäre Lehre in der Informatik. Die Verbindung von Theorie und Praxis, die Förderung von Eigenverantwortung und Gruppenarbeit sowie das Werkstattprinzip könnten helfen, Studierende besser auf die komplexen Anforderungen der Berufswelt vorzubereiten.

Insbesondere die praxisorientierte Ausrichtung des Bauhauses könnte die Informatik-Lehre bereichern, indem sie Studierende ermutigt, innovative und gesellschaftlich relevante Lösungen zu entwickeln – ganz im Sinne der Bauhaus-Maxime, Kunst, Technik und Gesellschaft miteinander zu verbinden.

Quellen

Agile Software Entwicklung in der Lehre

Agile Software Entwicklung im Team kann man nicht anhand von Lehrbüchern vermitteln. Die Prinzipien, Regeln und die Gebrauch entsprechender Werkzeuge muss vielmehr in einem realen Szenario über einen längeren Zeitraum erfahren werden.

Am Lehrgebiet Kooperative Systeme haben wir uns in diesem Wintersemester wieder dieser Herausforderung gestellt und sind mit 17 auf drei Teams verteilte Studierende an den Start gegangen. Der Kickoff zur Vorbereitung musste Corona-bedingt virtuell stattfinden. Über vier Tage hinweg gab es sieben Impulsvorträge der Studierenden, einen Design Workshop, mehrere Akte eines Rollenspiels mit einem fiktiven Auftraggeber, ein Planning Game, kurze Demonstrationen zur Nutzung von Git, GitLab, VS Code und Docker sowie ein paar Spiele zur Verdeutlichung von Problemen in der digitalen Zusammenarbeit.

Ziel der Veranstaltung war es, die Teams auf eine umfangreiche Programmieraufgabe vorzubereiten, die sie im Anschluss über 7 Iterationen bzw. 14 Wochen bearbeiten. Damit das gelingen kann, mussten sich die Mitglieder der Teams kennenlernen, die notwendigen technischen Voraussetzungen auf ihrem lokalen Rechner und einer Virtuellen Maschine schaffen, sich technische Grundlagen gegenseitig beibringen, ein gemeinsames Verständnis der Aufgabenstellung erlangen und User Stories bzw. GitLab Issues für die 1. Iteration festlegen. Zur Erreichung dieser Ziele hatten wir – Marc Burchart und ich – knapp 26 Stunden zu Zeit.

Aufgabenstellung

Die Aufgabenstellung eines jeden Teams bestand darin, eine kooperative Anwendung für die Lernplattform Moodle zu entwickeln. Welche Art von Anwendungen das sind, werde ich zu Beginn des nächsten Jahres an dieser Stelle vorstellen.

Lessons learned

Das grundlegende Konzept dieser Lehrveranstaltung wird schon seit vielen Jahren an unserem Lehrgebiet erfolgreich eingesetzt. Ich selbst hatte nun zum vierten mal das Vergnügen. Für die gänzlich virtuelle Gestaltung der Veranstaltung hatte ich meine Erfahrungen aus den EuroPLoP 2020, DELFI/ECTEL, der CSEDM und dem Workshop Next Generation LMS einfließen lassen. Folgende Ansätze haben sich grundsätzlich bewährt, sind jedoch auch noch nicht technisch perfekt gelöst:

  • Startpunkt: Es braucht ein Dokument, von dem aus alle verwendeten Werkzeuge erreichbar sind, die Agenda nachvollzogen und Neuigkeiten mitgeteilt werden können. Besser wäre es, wenn man eine Anwendung hätte, die die nachfolgenden Tools in sich vereint.
  • Kollaboratives Schreiben via Sciebo/OnlyOffice: Sowohl im Plenum, als auch in den Teams müssen Ergebnisse schriftlich manifestiert werden. Ein Shared-Text-Editor ist essentiell.
  • Dateiablage via Sciebo/OwnCloud
  • Shared Whiteboard via miro: Nicht alles lässt sich in Worte fassen. Flussdiagramme, Schaubilder der Software Architektur oder auch das Teambuilding mittels Standogrammen erfordern flexible Zeichenwerkzeuge. In miro konnte man Zeichnungen auf Papier als Foto einstellen und mündlich (via Zoom) wie schriftlich diskutieren. In miro verliert man manchmal die Orientierung und arbeitet auf unterschiedlichen Zoomstufen. Pfeile lassen überhaupt nicht nutzen und die Markierung mehrerer Objekte ist sehr umständlich. Für das Schreiben von Texten ist miro abgesehen von den Sticky Notes gänzlich ungeeignet.
  • Kommunikationsräume via Zoom (durch die FernUni (vor)gegeben): Die Beteiligten müssen sich im Plenum und auch innerhalb ihrer Teams austauschen können. Leider kann sich in Zoom nur der Host frei zwischen den Räumen bewegen, während die teilnehmenden Studierenden und Lehrenden wie eine Kindergartengruppe von Raum zu Raum bugsiert werden muss. Nervig waren auch die häufigen Session-Abstürze, unter denen alle Beteiligte zu leiden hatten. Alternativen wie Discord oder Wonder.me bieten leider nicht die notwendige Bild und Tonqualität oder, wie MS Teams, verfügen über keine Gallerieansicht aller Teilnehmenden.

Spiele, oder besser serious games

Um mögliche Probleme einer räumlich getrennten Zusammenarbeit im Hinblick auf die Aufgabenstellungen zu verdeutlichen, haben wir uns in diesem und in den letzten Jahren eine Reihe von Spielen überlegt. Grundsätzlich nehmen die Studierenden hierbei die Rolle der Spielenden und der Beobachtenden ein. Letztere Rolle ist wichtig, um das Erlebte zu reflektieren und Erkenntnisse für die Gestaltung sozio-technischer Systeme zu ziehen.

  • Zählen bis 20: Alle Teilnehmer können sich in einem Konferenzsystem sehen und hören. Sie sollen nun abwechselnd von 1 bis 20 zählen. Sobald sich mehrere Personen einander ins Wort fallen, muss wieder bei eins zu zählen begonnen werden.
    Lernziel: Dieses Spiel ist in Präsenz bereits ein Herausforderung. Im Digitalen kommt die Latenz bei der Übertragung von Bild- und Toninformationen erschwerend hinzu. Latenz ist ein Problem in der synchronen Zusammenarbeit. Die Beteiligten erfahren zudem die Bedeutung von Group Awarenss (dt.: Gruppenwahrnehmung) für die Koordination von Aktivitäten in der Gruppe. Mangels Absprachen gibt es keine festgelegte Reihenfolge und auch keine Konvention darüber, wie eine zeitliche Sperre für die Beanspruchung des Audio-Kanals den anderen kommuniziert werden kann.
  • Irrdeka: In einem Labyrinth sind verschiedene Objekt platziert, zu denen ein Spieler einem zweiten Spieler, der ein leeres Labyrinth vor sich sieht, leiten muss.
    Lernziel: Ohne eine Verständigung über die Vorgehensweise (Orientierung, Bezugspunkte, Kommandos) und eine präzise Kommunikation gelingt die Navigation durch das Labyrinth nicht.
  • Kreuzsatzrätsel: Man nehme eine 3×3 Matrix und lassen den neun Teilnehmenden jeweils ein Kästchen der Matrix mit einem Satz füllen, so dass die Sätze je Zeile (von rechts nach links) und Spalte (von oben nach unten) einen sinnvollen Zusammenhang ergeben. Während des Schreibprozesses können sich alle Beteiligten per Audio (in dem Fall Zoom) abstimmen, während Sie in einem kollaborativen Schreibwerkzug (miro oder Sciebo) die Matrix in Form einer Tabelle ausfüllen.
    Lernziel: Beim kollaborativen Schreiben folgt ein Text einer lineare Abfolge von Absätzen und Sätzen. Orthogonal dazu muss jedoch ein Abgleich mit der Argumentation und der verwendeten Begrifflichkeit erfolgen. Diese orthogonal verlaufenden Dimensionen sind durch die Spalten und Zeilen der Kreuzsätze repräsentiert.
Ergebnis eines Kreuzsatzrätsels
Das Anfertigen von Papier-Prototypen stellen wir als zentrale Entwurfsmethode in Mittelpunkt der Lehrveranstaltung. Papier ist geduldig, unkompliziert, schnell nutzbar. Änderungen lassen sich einfach umsetzen und, zumindest in Präsenz, können sich alle Beteiligten in den Gestaltungsprozess einbringen, ohne ein Zeichenwerkzeug am Rechner erlernen/bedienen zu müssen. Wir haben via Zoom alle gemeinsam Entwürfe erstellen können. Die besten drei von zehn Entwürfen je identifizierten Gestaltungsproblem wurden in miro hochgeladen.

Text to Speech in der Fernlehre

Das Lernen im Kurs ist vielfach mit der Verarbeitung visueller Informationen verbunden. Viele Tätigkeiten beanspruchen den visuellen Informationskanal zumindest so sehr, dass nebenher keine Texte gelesen werden können. Auditive Lernangebote finden sich dem gegenüber bislang nur selten im Fernstudium. Audio stellt jedoch eine alternative Repräsentation der Lernmaterialien dar und eröffnet neue Lernsituation, wenn man beispielsweise beim Joggen, bei der Hausarbeit oder in der Badewanne die aktuelle Kurseinheit anhören kann. Die Popularität von Podcasts unterstreicht das Potential von Audiobeiträgen für das Lernen.

Für die Produktion und Aktualisierung von professionellen Podcasts fehlt im Lehrbetrieb jedoch die Zeit. Weitaus weniger zeitaufwendig sind Text-to-Speech-Systeme. Aus einem mit Phonemen angereicherten Kurstext im SSML-Format entsteht innerhalb von wenigen Minuten eine passable Vertonungen.

Im Folgenden stelle ich eine erste Kostprobe einer vertonten Kurseinheit zur Verfügung. Auf Grundlage dieser Audioquellen arbeiten wir gerade an einer Hyperaudio-Lernumgebung, die Abbildungen, Tabellen und Formeln als Bilddateien durch akustische Signale ankündigt und die gruppenbezogene Diskussion der Lerninhalten ermöglicht. Im Jahr 2018 hatte ich zu diesem Thema bereits zwei vielversprechende Abschlussarbeiten vergeben, deren Ergebnisse wir jetzt nutzen und in ein Produktivsystem überführen.

36C3 Talk: Aufbau eines Sensornetzes für die Messung von Stickstoffdioxid

Beim diesjährigen Chaos Communication Congress (36C3) wird Patrick Römer den Aufbau eines Sensornetzes für die Messung von Stickstoffdioxid vorstellen. Im Rahmen seiner durch mich betreuten Bachelorarbeit hat Patrick eine Open Source Messstation konzipiert, gebaut und getestet sowie einen Webservice für ein Sensornetzwerk entwickelt. Als studierter Chemietechniker ist er bei einer offiziellen Messstelle für Luftschadstoffe für die Wartung und Prüfung der Messtechnik verantwortlich. Ich freue mich auf seinen Talk in Leipzig!

Aufbau eines Sensornetzes für die Messung von
Stickstoffdioxid

Spätestens seit dem Abgasskandal (Dieselgate) und den daraus resultierenden Fahrverboten für
Dieselfahrzeuge ist eine öffentliche Debatte um Stickoxide (insbesondere Stickstoffdioxid (NO 2 )) als Luftschadstoff entstanden. Die Stickstoffdioxidbelastung in Städten und Gemeinden verunsichert viele Bürgerinnen und Bürger, denn einerseits ist der Schadstoff nicht wahrnehmbar und andererseits kann Stickstoffdioxid eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit darstellen. In Deutschland existieren derzeit nur ca. 350 offizielle Messstationen für Stickstoffdioxid, so dass ortsspezifische oder sogar flächendeckende Angaben zur Luftschadstoffbelastung nicht möglich sind. Ein flächendeckendes Messnetz ist laut Gesetz auch nicht vorgesehen. Folglich können politische oder gerichtlich durchgesetzte Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität auch nur dort stattfinden, wo Messwerte existieren. Da es gegenwärtig keine Bestrebungen gibt das öffentliche Netz an Messstationen auszuweiten, möchten wir mit diesem Vortrag einen Vorstoß unternehmen, die technischen Grundlagen zur Errichtung eines bürgerschaftlichen Messnetzes zu eruieren und für diesen Zweck konkrete Bauanleitungen und Informationsdienste vorstellen. Im Gegensatz zu den mehrere tausend Euro teuren und eignungsgeprüften Messstationen zeigen wir eine hinreichend akkurate und preisgünstige (<50 Euro) Alternative auf.

In dem Vortrag erklären wir euch zunächst wie Stickstoffdioxid durch offizielle Stellen gemessen wird und wie die Grenzwerte definiert sind. Anhand des Status Quo der Datenerhebung erläutern wir bestehende Defizite und Potentiale für eine genauere und flächendeckendere Messung von Luftschadstoffen wie Stickstoffdioxid.

Im zweiten Teil des Vortrags beschreiben wir den Aufbau einer preisgünstigen Open Source
Messstation für Stickstoffdioxid. Dabei werden Kriterien für die Auswahl von Komponenten und die Durchführung einer Vergleichsuntersuchung mit einem eignungsgeprüften Messgerät vorgestellt. Außerdem werden Kalibrierungsmethoden und die Behandlung von störenden Einflüssen durch Luftfeuchtigkeit und Temperaturschwankungen thematisiert.
Im dritten Teil des Vortrags wird eine Web-Anwendung vorgestellt, die Daten aus einem Messnetz der NO 2 -Messstationen sammelt, auf Karten visualisiert und somit dem Citizen Science Ansatz Rechnung trägt. Dabei diskutieren wir auch Vor- und Nachteile unterschiedlicher kartenbasierten Darstellungsformen von Luftschadstoffmesswerten.

Scientists for Future – Open Topic Call

Neulich auf einer Demo der Fridays for Future Aktivistinnen in Bonn schallte mir die Kritik entgegen, Wissenschaftlerinnen würden nur Bücher und Paper schreiben, anstatt für das Klima zu kämpfen. Das stimmt auch und dennoch kann sich jede Wissenschaftlerin fragen, welchen Beitrag ihre Disziplin in Forschung und Lehre leisten kann. In der Informatik gibt es mit Franz-Josef Radermacher seit langem einen kritischen Denker zum Klimawandel, Technologie und öko-soziale Marktwirtschaft. Auch in den LIMITS-Workshops wird die Rolle der eigenen Disziplin seit nunmehr vier Jahren hinterfragt. Meine Antwort auf die Kritik der Demonstranten in Bonn ist nun ein Open Topic Call für Abschlussarbeitsthemen, die sich mit den Herausforderungen der Klimakrise und ihren Folgen aus informatischer Sicht beschäftigen:

Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 haben sich 195 Staaten völker­rechtlich verbindlich dazu verpflichtet, die globale Erwärmung deutlich unter 2 °C zu halten. Die Klimakrise stellt uns alle vor große Herausforderungen, die eine weltweite und Zusammenarbeit für den Klima-, Arten-, Wald-, Meeres- und Bodenschutz erfordert. Die Informatik als Disziplin ist dabei Teil des Problems und Lösung zugleich. Während wir beispielsweise für die Produktion von Rechentechnik enorme Ressourcen verbrauchen und Rechenzentren einen hohen (fossilen) Energieverbrauch aufweisen, lassen sich die Schäden und Konsequenzen der Klimakrise überhaupt erst durch informatische Methoden ermitteln, prognostizieren und kommunizieren.

Mit dieser Ausschreibung sind Studierende aufgerufen, sich in ihrer Abschlussarbeit mit der Klimakrise und ihren Folgen aus Sicht der Informatik auseinanderzusetzen und dabei Methoden ihres Faches interdisziplinär anzuwenden, zu entwickeln und zu untersuchen. Wir unterstützen dabei Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Unternehmen sowie staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen und vermitteln Kontakte zu Forschenden beim Intergovernmental Panel on Climate Change, dem InternationaCentre for Water Resources and Global Change (UNESCO) und der LIMITS Community.

Ich hoffe damit nicht nur Studierende ansprechen zu können, sondern Nachahmer unter anderen Wissenschaftlerinnen zu finden.

Hochschuldidaktik Zertifikate

Nachdem ich über fünf Jahre selbst mediendidaktische Weiterbildungen in Sachsen entwickelt und durchgeführt hatte, hielt ich nicht viel davon selbst an den Programmen zur hochschuldidaktischen Qualifizierung teilzunehmen. Die Kenntnis über die internen Strukturen, Prozesse und Auswahl Dozentinnen lassen gewissen Zweifel über die Sinnhaftigkeit und den tatsächlichen Nutzen bestimmter Weiterbildungsangeboten aufkommen.

Die Perspektive eines Außenstehenden konnte ich nun an der FernUniversität in Hagen als Teilnehmer am Qualifizierungsprogramms »Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule« erlangen. Ich wollte meine eigene Lehrtätigkeit reflektieren und dabei natürlich die Qualität verbessern. Insbesondere die veränderten Bedingungen der Fernlehre haben mich dazu bewogen, neues auf dem Gebiet lernen zu wollen. Das Zertifikat galt zudem als formaler Nachweis für die pädagogische Eignung in der Erwachsenenbildung an Hochschulen, welche in manchen Berufungsverfahren gefordert ist.

In einem Zeitraum von sieben Jahren hatte ich insgesamt an neun Weiterbildungen teilgenommen und in Summe 200 Stunden bzw. Arbeitseinheiten absolviert. Der lange Zeitraum hat sich daraus ergeben, dass ich mir einige Kurse aus dem am IHI Zittau absolvierten Doktorandenstudium anrechnen lassen konnte.

Als Fazit möchte ich festhalten, dass die Veranstaltungen wesentlich dazu beitragen, dass Lehrende und damit auch Forschende an einer Hochschule miteinander ins Gespräch kommen. Dabei ist es ganz gleich wie gut oder schlecht die Weiterbildung personell oder inhaltlich aufgestellt ist, um sich anhand eines gesetzten Themenimpulses auszutauschen. Das Angebot von informellen Gelegenheiten zur Reflexion und Diskussion von Lehrpraxis halte ich deshalb für sehr bedeutsam. Für die Weiterbildung von Wissenschaftlern wäre es jedoch wünschenswert, wenn sich die formalen Qualifizierungsmaßnahmen an wissenschaftlichen Maßstäben orientieren würden. Es ist schlicht nicht hinnehmbar, wenn Weiterbildende lediglich ihr persönliches Erfahrungswissen weitergeben und es nicht für nötig erachten einschlägige und aktuelle Quellen der wissenschaftlichen Literatur in die Veranstaltung und in die Lernmaterialien einfließen zu lassen. Eine Verzahnung von Forschung und Lehre wäre im Rahmen dieser Qualifizierungen darüber hinaus ein erstrebenswertes Ziel, um die Wirkung des hochschuldidaktischen Handelns anhand von Evidenzen untersuchen und verstehen zu können. Wenngleich das Wort Zertifikat auf das lateinische certus (sicher, bestimmt) und facere (machen) zurückgeht, fehlt es den hochschuldidaktischen Zertifizierungen manchmal noch an Spezifik und gesicherten Grundlagen, wie gute Lehre gelingen kann.